Gruppenfazit / Achtelfinal-Ausblick

Sambamärchen. Ein kurzer Eindruck von der Gruppenphase und ein Ausblick auf das Achtelfinale.

136 Treffer in 48 Spielen, Königs-Joker, Fünferketten, sterbende Favoriten und elende Hitze – Brasilien 2014 ist ein phänomenales, in wirklich allen Belangen heißes Turnier. Vor allem aber ist es ein Turnier der Überraschungen. Meine achsotolle Vorrunden-Prognose war, jetzt wo wir das Achtelfinale-Feld kennen, ein absoluter Fail. Nicht, weil ich keine Ahnung vom Fußball habe. Es ist viel mehr so, dass dieses Wissen meist absolut nix bringt, weil man den Verlauf eines solchen Turniers nur wirklich selten vorhersehen kann.
Ich hab nicht erwartet, dass der Weltmeister schon jetzt wieder daheim sein würde, oder dass Italien erneut in der Vorrunde scheitert. Ich hab auch nicht geahnt, dass Costa Rica, Griechenland und Algerien in die nächste Runde kommen würden, Diese drei Teams zählte ich vorher zu den – und ich zitiere - »Mannschaften, die sich über jedes Tor und jeden Punkt freuen können. Sind sowas wie die Sparringspartner und ein Achtelfinal-Einzug wäre ein mittleres Fußballwunder.« - kein Kommentar.

So hat sich nach der Gruppenphase ein buntes Teilnehmerfeld zusammengefunden: 5 Südamerikaner, 6 Europäer, 2 Afrikaner, 3 Nord- und Mittelamerikaner. Einzig der asiastische Kontinent ging dieses Jahr etwas unter, und belegte gleich vier Mal den letzten Platz.

Werfen wir doch mal einen Blick auf die nächsten Spiele:

Brasilien gegen Chile

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenDies ist vermutlich das Knallerspiel schlechthin: Der Gastgeber trifft auf einen bissigen, läuferisch unglaublich starken Gegner. Während die Brasilianer in der Vorrunde nur selten, und wenn dann lediglich in Person des Superstars Neymar überzeugen konnten, gelten die Chilenen spätestens seit ihrem grandiosen Tritt in den spanischen Weltmeisterarsch als Mitfavorit auf den Titel. Die Selecao hat eine Menge Druck auf den Schultern und steht vor eine großen Hürde. Es ist gar nicht mal so unwahrscheinlich, dass sich der Gastgeber schon heute von der WM verabschiedet, auch wenn sie wohl leicht favorisiert sind.

Kolumbien gegen Uruguay

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenDas zweite rein südamerikanische Achtelfinale steigt im ehrwürdigen Maracana. Kolumbien spielt bisher eine ganz starke WM, mit einer klasse Offensive (und das ohne ihren Superstar Falcao!), viel Leidenschaft und den stilvollsten Tanzeinlagen. Uruguay konnte sich nach schwachen Turnier-Beginn noch steigern, gewann gegen Italien und England jeweils knapp, aber nicht unverdient. Doch sie haben ein ganz großes Handicap: Ihr Star Luis Suarez ist nach seiner Beißattacke völlig zurecht für neun Spiele und vier Monate gesperrt worden, also auf jeden Fall für den Rest der WM. Seine Mitspieler werden mit einer gehörigen Wut im Bauch antreten. Wenn sie es schaffen, diese Wut in positive Kraft umzuwandeln, und nicht in neuerliche Heißspornitäten, dann steht uns ein recht ausgeglichenes Spiel bevor. Meine Sympathien liegen aber zu 100% bei den Kolumbianern …

Niederlande gegen Mexiko

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenNeben dem Aufeinandertreffen von Brasilien und Chile ist dies hier wohl das zweite Topspiel in der Runde der letzten 16. Für viele gelten die Holländer als Topfavorit auf den Titel, auch wenn dem 5:1 gegen Spanien zwei eher weniger überzeugende Auftritte folgten. Am Ende stehen trotzdem 9 Punkte auf der Habenseite. Wenn Arjen Robben und Robin van Persie an ihre bisherigen Leistungen anknüpfen können, dann sollte es für einen Sieg reichen. Ob ihnen das aber gegen die kompakten Mexikaner gelingen wird? Diese konnten den Brasilianern nämlich ein Unentschieden abtrotzen und haben auch sonst eine verdammt gute Vorrunde hingelegt. Am Ende werden Kleinigkeiten entscheiden. Ich hoffe auf Oranje.

Costa Rica gegen Griechenland

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenJa, was soll man denn nun tippen, wenn man weder dem einen, noch dem anderen Team überhaupt den Achtelfinal-Einzug zugetraut hat? In Recife treffen zwei der größten Überraschungen aufeinander, um – man mag es kaum glauben – einen Viertelfinalisten zu ermitteln. Costa Rica spielt bisher eine absolute Sahne-WM, die für ungeheuere Begeisterung im mittelamerikanischen Land gesorgt hat. Die Todesgruppe hat man als Erster überstanden und Spieler wie Joel Campbell oder Bryan Ruiz werden sich ins Blickfeld großer Vereine gerückt haben. Die Griechen sind ganz klassisch eher schwerfällig gestartet und haben erst in der buchstäblich letzten Sekunde das Weiterkommen gesichert. Es ist gut möglich, dass die costaricanische Partie weitergeht, doch sagen wir's mal so: Wenn eine Mannschaft die Rolle des Spielverderbers in Perfektion beherrscht, dann ist es Griechenland …

Frankreich gegen Nigeria

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenNatürlich ist Frankreich vom Namen her der Favorit dieses Matches, doch das ist vielleicht etwas zu einfach gedacht. Die Ecquipe Tricolore startete zwar sehr gut ins Turnier, 3-0 gegen Honduras und dann 5-2 gegen die Alpennachbarn aus der Schweiz. Doch im letzten Spiel gegen Ecuador gab es dann ein ideenloses, uninspiriertes 0-0. Welches Bild werden die Franzosen gegen die Nigerianer abgeben? Die Super Eagles konnten sich in der Vorrunde stets steigern, man besiegte Bosnien und ärgerte den haushohen Favoriten Argentinien beim 2-3 gewaltig. Man darf gespannt sein! Ich persönlich würde mir ein Viertelfinale Frankreich gegen Deutschland wünschen … das hat irgendwie was … den Hauch eines echten Klassikers.

Deutschland gegen Algerien

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenWie schon so oft, klingt der Name unseres Gegners im ersten Moment leichter als er tatsächlich ist. Mit großer Leidenschaft und Spielfreude sind die Nordafrikaner durch die Gruppe H marschiert. Zudem sind sie eines der wenigen Teams auf dieser Welt, gegen die unsere Nationalelf eine negative Bilanz hat: Zwei Spiele, zwei Niederlage. Eine in einem unwichtigen Freundschaftsspiel, die andere bei der WM 1982. Die Geschichten vom »Nichtangriffspakt von Gijon« kennt inzwischen wohl der Großteil der Lesenden, wenn nicht, in den Medien wird das zurzeit genug aufgebauscht. Die Algerier streben also nach Rache. Und wir? Wir wollen Weltmeister werden, und da darf uns auch so eine unbequeme Mannschaft wie die Algerier nicht aufhalten. Vorsicht ist geboten, aber alles andere als ein deutscher Sieg (am besten nach regulärer Spielzeit) wäre eine herbe Enttäuschung.

Argentinien gegen Schweiz

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenEs ist kein Duell auf Augenhöhe, aber eine Überraschung ist auf jeden Fall drin. Die Argentinier konnten bisher in noch keinem Spiel so richtig überzeugen, obwohl die Gruppengegner alles andere als Hochkaräter waren. Die Eidgenossen haben da eine ganz andere Vorrunde hinter sich, zwischen Himmel und Hölle war alles dabei. Es begann mit einem schwachen Spiel gegen Ecuador, das man glücklich in letzter Minute gewann. Dann folgte die Talfahrt: Debakel gegen Frankreich, erneut lag ein frühes Aus im Bereich des Möglichen. Verhindert wurde das durch ein überzeugendes 3-0 gegen Honduars … wie soll man denn nun unsere südlichen Nachbarn einschätzen? Schwer zu sagen. Wahrscheinlich wird Lionel Messi am Ende wieder mal den Unterschied ausmachen und Argentinien zu einem ungefährdeten Sieg schießen. Ich drücke aber ganz fest die Daumen, das genau das nicht passiert …

Belgien gegen USA

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenKomplettiert wird das Tableau durch zwei Mannschaften, deren Zufriedenheit unterschiedlicher nicht ausfallen könnte. Der Geheimfavorit Belgien mogelte sich zum klaren Gruppensieger, ohne auch nur einmal zu zeigen, warum sie so viele Experten als Titelaspiranten genannt haben. Vielleicht ist es aber grade diese Fähigkeit, mäßig zu spielen und trotzdem das gewünschte Ergebnis zu erzielen, wer weiß … Mit den Staaten steht ihnen nun ein echter Härtetest bevor - vorausgesetzt diese können an die klasse Leistungen gegen Ghana und Portugal anknüpfen. Jürgen Klinsmann hat in den USA eine Aufbruchsstimmung erzeugt, zumindest was den so ungeliebten Soccer angeht. Gut möglich, dass dieses kleine Sommermärchen noch um ein weiteres Spiel verlängert wird. Ich sage: Es wird ausgeglichen, doch das bessere Ende haben die Amerikaner.


Mal schauen!
Ich melde mich am Montag wieder. Vielleicht. Vielleicht aber auch erst Mittwoch. Ich schreibe in dieser Woche nämlich die ersten beiden Prüfungen. So heißt es beispielsweise: Montag, 22 Uhr – Deutschland – Algerien; Dienstag, 11 Uhr – Klausur Neuzeit … aber da muss ich dann wohl durch ;)

WM-Tagebuch #11 – Igor, der Gelaserte

Sambamärchen. Die Finals der Gruppe E, F und H

In diesen Gruppen war am letzten Spieltag noch so viel Dramatik möglich, gleich drei Mal hätte es theoretisch sogar zu einem Losentscheid kommen können. Letztendlich war das alles aber dann noch recht unspektakulär.

Die Gruppe E endete zum Beispiel mit der Tabelle, die man im Vornherein erwarten konnte – und stellt sich damit voll gegen den Trend dieser WM, die so voller Überraschungen steckt. Bezeichnenderweise ist es die einzige Gruppe, in der zwei Europäer weiterkommen und in der Ecuador hier als einziger südamerikanische Vertreter bereits nach der Vorrunde ausscheidet. Das war schlicht zu harmlos. Die Schweiz konnte sich hingegen nach dem 2-5-Debakel gegen Frankreich erstaunlich schnell von jeglicher Versagensangst befreien und zieht nach dem souveränen 3-0 über Honduras dann doch noch verdient ins Achtelfinale ein.

Dort wartet Argentinien, das gegen Nigeria zwar auch sein drittes Spiel gewinnen konnte, aber immer noch nicht wirklich überzeugen möchte. Einzig Lionel Messi brachte etwas Brillianz ins Spiel der Albiceleste. 4 Tore nach 3 Partien – Der Superstar scheint nun auch endlich im Nationaldress seine Leistung abrufen zu können. Nigeria konnte aber erstaunlich gut mithalten und offenbarte beachtliche Schwächen der Südamerikaner. Weil der Iran gegen Bosnien verlor, wurden die Super Eagles verdienter Zweiter.

Blieb also nur noch eine Gruppe übrig, und die war aus deutscher Sicht nicht uninteressant, schließlich qualifizierte sich hier unser Achtelfinal-Gegner. Weil Südkorea trotz Überzahl nicht gegen Belgien gewann, entschied es sich zwischen Russland und Algerien. Die Sbornaja ging zwar früh in Führung, doch machte danach zu wenig für ein zweites Tor. Deshalb kam der Ausgleich der Nordafrikaner, der sie in die nächste Runde befördern sollte, nicht unverdient. Wie er fiel, ist allerdings ein Skandal: Zunächst sah es alles nach einem klaren Torwartfehler von Igor Akinfeev aus, der eine Ecke von Algerien unterlief. Videos und Bilder beweisen aber, dass er genau in diesem Moment von einem Laserpointer aus dem Pubikum anvisiert wurde. Klare Ablenkung, und womöglich war dies die Ursache für die folgende Unkonzentriertheit. Aber was soll's: Nimmt man alle Gruppenspiele zusammen, haben es die Algerier auf jeden Fall verdient.

Damit ist die Gruppenphase dieser Weltmeisterschaft 2014 vorbei. Die Achtelfinal-Partien stehen fest. Morgen geht es schon weiter, zunächst hier im Blog, dann auf den Plätzen. Bis dahin!

In Germany we call it Pausenclown

Sambamärchen. Eindrücke vom dritten Gruppenspiel gegen die USA.

Wer hat in den letzten Tagen denn nicht vom »Nichtangriffspakt von Gijon« gehört? Damals, bei der WM 1982, schoben sich Deutschland und Österreich im entscheidenden Gruppenspiel nach der deutschen Führung die Bälle nur noch zu, weil sie wussten, dass beiden ein 1-0 reichen würde. Leidtragende waren die Algerier, die durch diese Aktion das Achtelfinale verpassten. Das Spiel hat so die Gemüter erregt, dass es zwei Konsequenzen nach sich zog: Kurz darauf wurde die Rückpassregel eingeführt, die dem Torwart verbietet, einen Rückpass des eigenen Mitspielers mit der Hand auszunehmen. Und die letzten Gruppenspiele der großen Turniere werden seitdem stets zur selben Zeit angepfiffen. 

Was das alles mit 2014 zu tun hat? Recht viel sogar.

Denn so sehr es die FIFA versucht, so ganz kann man eine ähnliche Ausgangssituation nicht verhindern. Das zeigte sich nach dem zweiten Spieltag der Gruppe G: Sowohl Deutschland und die USA würden mit einem Unentschieden im direkten Duell am letzten Gruppenspieltag ins Achtelfinale einziehen. Und dann kam ja noch diese kuriose Geschichte hinzu, dass der US-Trainer und unser Bundestrainer sich noch bestens kennen: Jürgen Klinsmann und Jogi Löw waren die Macher des Sommermärchens 2006 – beste Vorraussetzungen also, um sich ganz gemütlich auf ein schnuckeliges Remis zu einigen, um dann gemeinsam das Weiterkommen zu feiern.

Gott sei dank kam es nicht so, es gab gestern keine »Schande von Recife«. Trotzdem sind beide Mannschaften im Achtelfinale, weil im Paralelspiel Portugal gegen Ghana das aus US-Sicht richtige Team gewann. Na, so geht es doch auch. Am Ende konnten sich also alle in den Armen liegen.

Und das nach einem Spiel, das alles andere als perfekte Bedingungen bot. In Recife gab es ein gepflegtes Unwetter, dass die Straßen der Großstadt in kleine Flüsse verwandelte. Teilweise stand es sogar zur Diskussion, das ganze Spiel um eine Stunde nach hinten zu verschieben (was, wie wir ja eben gelernt haben, auch die Anstoßzeit des anderen Gruppenspiels verändert hätte). Letztlich ging's aber pünktlich um 13 Uhr Ortszeit los. Es regnete auch weiterhin wie aus Kübeln und hörte ironischerweise erst genau dann auf, als der Schlusspfiff ertönte.

Perfekter, technisch einwandfreier Fußball war bei diesen Bedingungen kaum möglich. Und da mag man unserer Elf auch verzeihen, dass das letzte Gruppenspiel das mit Abstand langweiligste des bisherigen Turniers wurde. Jogi Löw hatte vor dem Spiel zwei Änderungen vorgenommen, brachte Schweinsteiger für Khedira, weil er sich gegen Ghana empfehlen konne, und Podolski für Götze. weil er gegen körperlich robuste Amis die bessere Alternative darstellte. Überzeugen konnte aber nur der Erstere: Schweini war sofort der Chef im Mittelfeld, brachte Stabilität ins Spiel und zeigte einen couragierten Auftritt. Poldi hatte hingegen einen eher durchwachsenen Tag, und konnte sich nicht grade auszeichnen. Erst der für ihn in Halbzeit zwei eingewechselte Klose belebte das deutsche Angiffsspiel spürbar. Das einzige Tor des Tages erzielte dann einmal mehr Thomas Müller. Manche mögen es Abstauber nennen, weil ihm der Ball glücklich vor die Füße fiel. Doch den Ball muss man auch erstmal so von der Strafraumgrenze ins Eck zirkeln. Cool gemacht! Viele Spieler hätten da nur kopflos in die Menschenmenge gebolzt …

Damit hat der Münchner nach 9 WM-Spielen also 9 WM-Tore auf seinem Konto und damit den Argentinier Diego Maradona überholt. Ich erwähne das deshalb so gerne, weil diese Aktion hier dadurch immer mehr zum Klassiker wird. Der Müller ist schon ein echtes Phänomen. Weder sein Auftreten, noch sein Körperbau, nicht mal seine Spielweise erinnert an einen herkömmlichen Weltstar – und doch ist er auf einem guten Weg, auf lange Sicht bester WM-Torschütze ever zu werden – außer der Miro legt in den nächsten Spielen noch ein paar Treffer drauf, dann wird es etwas schwerer ;) Was sein Geheimnis ist? Mats Hummels beschrieb den Torschützen nach dem Spiel, von amerikanischen Journalisten befragt, wohl am besten: »In Germany we call it Pausenclown«

Nun geht es am nächsten Montag weiter mit dem deutschen Traum vom Titel. Algerien wird unser Gegner sein, doch das klingt im ersten Moment leichter als es tatsächlich ist. Mit großer Leidenschaft und Spielfreude sind die Nordafrikaner durch die Gruppe H marschiert. Zudem sind sie eines der wenigen Teams auf dieser Welt, gegen die unsere Nationalelf eine negative Bilanz hat: Zwei Spiele, zwei Niederlage. Eine in einem unwichtigen Freundschaftsspiel, die andere bei der WM 1982 – womit wir wieder beim »Nichtangriffspakt von Gijon« wären. Die Algerier streben nach Rache. So wird uns dieses Kapitel der Vergangenheit auch noch weiterhin ziemlich beschäftigen ...

WM-Tagebuch #10 – Vorsicht, bissig!

Sambamärchen. Die Finals der Gruppen C und D.

Dass das entscheidende Duell zwischen Italien und Uruguay kein besonders schönes werden würde, konnte man irgendwie erwarten. Beide Teams sind bekannt für ihre nicht immer ganz saubere Spielweise und den Hang zu diversen kleineren Nickligkeiten. So sah das Geschehen auf dem Rasen dann auch größtenteils aus: Immer wieder Fouls und fiese Tritte, wohlgemerkt von beiden Seiten. Nein, ich wusste schon früh, warum ich eigentlich keinem das Achtelfinale gönnen würde. England war aber nun mal leider schon raus, so dass das Vorrundenaus dummerweise nur einen ereilen konnte. Was dann aber in der zweiten Halbzeit geschah, machte mich so fuchsteufelswild, dass ich völlig unbemerkt zur Azzuri übergelaufen bin.

Das fing mit der roten Karte für Marchisio an, die einfach nur übertrieben war: Im Zweikampf um den Ball traf der Italiener seinen Gegenspieler am Schienbein. Schmerzhaft, keine Frage, und natürlich war es ein hartes Einsteigen, das eine Karte nach sich ziehen muss. Die mit der gelben Farbe wäre hier aber wohl eher angebracht gewesen. So dezimierte er eine italienische Mannschaft, die zwar nicht wirklich drauf und dran war ein Tor zu schießen, das Spiel aber weitesgehend offen halten konnte. Der Platzverweis hat das Spiel dann entscheidend in eine bestimmte Richtung gelenkt. Das war bitter für Italien, aber mit solchen Entscheidungen muss man dann leben. Uruguay wurde besser, hatte einige Chancen, doch das Tor fiel nicht. Erst kurz vor Schluss drückte Diego Godin eine Ecke mit dem Rücken ins Netz. 1-0 .. es war der Siegtreffer. So viel zum Sportlichen.

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Der Biss von Suarez
Was man menschlich wirklich nicht nachvollziehen kann, sind die Geschehnisse nur wenige Minuten zuvor: In einem für diese beide Teams relativ harmlosen Zweikampf abseits des Balles geraten Luis Suarez und Georgino Chiellini aneinander. Fallen hin, der Italiener hält sich die Schulter, der Uruguayer die Zähne. Passiert, denkt man im ersten Moment, und bekommt in der Wiederholung dann die bisher wohl mieseste Attacke der WM zu sehen: Suarez beißt seinem Gegenspieler. Ja, er beißt. Er schlägt ihn nicht, er tritt ihn nicht, er gibt ihm keinen Kopfstoß – er beißt. Was für eine hässliche Szene! Und dann kommt er auch noch ungeschoren davon, weil es der Schiedsrichter nicht gesehen hat, der sich auch nicht zu einem Feldverweis durchringen kann, als Chiellini ihm die deutlich sichtbaren Bissspuren an der Schulter zeigt. Der Wahnsinn! Bezeichnend, wie Suarez' Mitspieler dann noch mit größter Leidenschaft zu verhindern versuchen, den offensichtlichen Beweis vom Schiri fernzuhalten. Die Nationalelf von Uruguay hat jetzt zumindest bei mir sämtliche Sympathiewerte verspielt: Bereits im Spiel gegen Costa Rica fiel man mit Frustfouls auf, doch was sie dann nach dem Schlusspfiff zur Beißattacke zu sagen hatten, lässt einen nur ratlos zurück: »Es geht hier um die WM, nicht um die Moral«, sagt der Trainer. Kapitän Lugano behauptet sogar, die Spuren auf Chiellinis Schulter stammen gar nicht von Luis Suarez. Der Übeltäter selbst spricht davon, dass er beim Zweikampf von Chiellini am Auge getroffen wurde (warum hält er dann aber nach dem Vorfall nur seine Zähne?), und solche Reaktionen wie seine nun mal im Fußball vorkommen. Ach, tun sie das? Ich kenne bisher nur einen Spieler, der schon mehrmals wegen solch miesen Aktionen aufgefallen ist, und das ist – wer hätte das nur gedacht? - zufällig Luis Suarez selbst. Damals bekam er jeweils eine Sperre: Einmal 6, einmal 10 Spiele – wenn die WM für diesen Kerl damit nicht beendet ist, weiß ich auch nicht weiter. Mehrere Monate wären gerecht, ganz ehrlich.

Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das erneute italienische Vorrundenaus nicht unverdient ist. Wer sich hinten einmauert und nur ganz sporadisch mal was für den eigenen Angriff tut, muss so ein unglückliches Gegentor akzeptieren. Im Achtelfinale geht es für Uruguay jetzt gegen Kolumbien – ratet mal, welchem Team ich die Daumendrücken werde …

Samaras nach seinem Last-Minute-Treffer
Das zweite dramatische Gruppenendspiel, dieses mal in der Gruppe C, stieg in Fortaleza zwischen der Elfenbeinküste und Griechenland. Den Afrikanern hätte ich dieses Weiterkommen sehr gegönnt. Ein Unentschieden hätte gereicht, um nach 2006 und 2010, wo man an sehr schweren Gruppengegnern verzweifelte, nun endlich diesen Erfolg zu feiern. Die Griechen, vor Beginn der WM von vielen wohl als schwächstes Team dieser Gruppe eingeschätzt, waren gestern allerdings sehr stark, und hatten die größten Gelegenheiten des Spiels. Man könnte fast sagen, so stürmisch hätte ich diese Mannschaft noch nie gesehen. Die Führung war also verdient, doch die Ivorer machten in Halbzeit zwei den schönen Ausgleich. Bis zur 90. Minute sah es also so aus, als könnte sich die Elfenbeinküste weiterzittern – dann nahm das Drama seinen Lauf: Griechenlands Samaras wird beim Schussversuch getreten – Elfmeter. Vollkommen richtig gesehen, so leid mir das auch tut. Der Gefoulte schoss selbst, verwandelte und damit steht der Europameister von 2004 in der nächsten Runde. Mit einem Last-Minute-Sieg, der nicht verrückter hätte sein können. Die Elfenbeinküste fliegt erneut nach der Gruppenphase heim und kann sich die Achtelfinals im Fernsehen anschauen. Unter anderem wird es da Costa Rica gegen Griechenland geben. Zwei Teams, die ich vor ein paar Wochen in die Kategorie »Achtelfinale = Riesensensation« gesteckt habe. Wir man sich doch täuschen kann …

Sorry, dass in der ganzen Betrachtung hier das 0-0 von England und eben jenen Costaricanern, sowie das 4-1 von Kolumbien über Japan nicht so zur Geltung kommen, doch ihr seht ja selbst, wie krass es auf den anderen Plätzen zuging ;)


Heute: Wer folgt Argentinien und Frankreich ins Achtelfinale? In der einen Gruppe liefern sich Iran und Nigera ein Fernduell, in der anderen Schweiz und Ecuador. Spannung pur!

WM-Tagebuch #9 – Der, der keinen Druck verspürt.

Sambamärchen. Die Finals in den Gruppen A und B

Er ist einfach ein Phänomen: Neymar lässt sich von den tonnenschweren Erwartungen, die auf seinen Schultern liegen, einfach nicht erdrücken. Sowas wie Druck scheint er nicht zu kennen. So erfüllt er brav und völlig ungeniert all die Hoffnungen, die ein ganzes Volk in seinen Wunderfuß setzt. Schon wieder schnürte der Star im brasilianischen Team einen Doppelpack und übernahm mit seinen Toren 3 und 4 die Führung in der WM-Torschützenliste. Man mag sich verwundert die Augen reiben ob dieser gigantischen Unbekümmertheit.

Nemar ist nicht einer von vielen im Dress der Selecao – die Selecao ist Neymar. Ob das gut ist, ist eine andere Frage.

So bleiben auch nach dem 4-1 gegen Kamerun noch einige Zweifel hinsichtlich der wahren Stärke dieser Mannschaft. Neymar brillierte, zauberte und schoss seine zwei Tore in den wichtigsten Momenten: Das 1-0 ganz früh und die erneute Führung nach dem Ausgleich. Man mag sich nicht ausmalen, wo die Brasilianer ohne ihr Wunderkind ständen. Die so hochgelobte Abwehr um David Luiz zeigte auch dieses mal – im Duell mit dem schwächsten Vorrundengegner – wieder ihre Anfälligkeit. Vorne schleppt und stolpert sich Fred durch die gegnerischen Abwehrreihen, ist so etwas wie der brasilianische Mario Gomez. Auch Hulk oder Oscar konnten ihr Potential noch nicht wirklich zeigen. Klar, am Ende steht ein eindeutiger, teils richtig gute herausgespielter Sieg gegen die Afrikaner, doch wenn das schon das Ende der Fahnenstange ist, zumindest was die Leistungsfähigkeit angeht, wird Brasilien nicht weit kommen. Neymar alleine reicht nicht.
Schon gar nicht im Achtelfinale gegen bisher so begeisternde Chilenen.

Okay, sie haben gestern ihr letztes Gruppenspiel gegen die Niederlande verloren, doch auch den wahrscheinlichen Topfavoriten hatten sie weitesgehend im Griff. Am entschieden ein ausgeglichenes Spiel wieder mal zwei Joker. Die Holländer können also das Duell gegen den Gastgeber vermeiden, doch wirklich leichter wird es in der nächsten Runde dadurch nicht. Nach einem überzeugenden 3-1 über Kroatien wartet mit Mexiko eine bissige und leidenschaftliche Mannschaft, die einen Fluch besiegen will: Fünf Mal in Folge erreichte man das Achtelfinale – fünf mal scheiterte man. Holland muss gewarnt sein. Und außerdem haben die Mittelamerikaner den coolsten Trainer des Turniers, weil er sich beim Jubeln auch gerne mal in die Traube hineinwirft …  

WM-Tagebuch #8 - Und sie fliegen ...

Sambamärchen.  Man oh man! Als ob's nicht schon blöd genug ist, dass ich mit dem Scheiben jetzt eher nicht so hinterhergekommen bin, macht die WM 2014 in Brasilien fußballerisch genau da weiter, wo ich letztmals aufgehört habe: Bunte Spiele, bunte Ergebnisse, bunte Geschichten. Im Schnelldurchlauf jetzt die letzten Spieles des zweiten WM-Wochenendes von Freitag bis Sonntag:

Was war krass?

Die wohl größte Sensation des Turniers ist bereits nach zwei Spieltagen pefekt: Costa Rica hat das Achtelfinale sicher. Ja nee, man kann das Ganze natürliche auf das riesige Losglück der Mittelamerikaner schieben, nur drei ehemalige Weltmeister als Gegner bekommen zu haben. Es war doch offensichtlich, dass DIESES Team bei DIESER WM in DIESER Gruppe weiterommen würde, oder nicht? Da gelingt denen ganz im Vorbeigehen ein Sieg gegen die große Fußball-Nation Italien, den wir Deutsche in der bisherigen Fußballgeschichte auf Turnierebene noch nicht erleben durften. Wahnsinn, und wenn man bedenkt, dass im Achtelfinale auch nicht grade die Schwergewichte drohen, kann man Costa Rica durchaus das Viertelfinale zutrauen. Und allein diesen Satz zu schreiben, wäre mir vor knapp zwei Wochen nicht mal ansatzweise in den Sinn gekommen …

Spektakulär war auch Frankreichs 5-2 gegen die Schweiz. Die Ecquipe Tricolore schwingt sich damit langsam echt zu einem Turnierfavoriten auf, und auch das hätte niemand unbedingt erwarten können. Karim Benzema scheint in der Form seines Lebens zu sein, und plötzlich redet keiner mehr von Franck Ribery. Für die, die es nicht wissen: Der Bayern-Star fiel verletzt für das Turnier aus. Doch so richtig scheinen sie ihn auch nicht zu vermissen. Das ist erstaunlich, und ich würde mich wirklich freuen, wenn die Franzosen es bis ins Viertelfinale schaffen – dort könnte man dann auf Deutschland treffen … hmmm, das riecht nach Klassiker.

Algerien fegte Südkorea mit 4-2 vom Platz und hat damit durchaus Potential zur nächsten Turnier-Überraschung zu werden. Ein Achtelfinal-Einzug ist jetzt gar nicht mal so unwahrscheinlich, dort sollte dann aber Schluss sein, denn auch hier wartet vorraussichtlich unsere Elf.

Das 2-2 der US-Amerikaner gegen Portugal im heißen Manaus konnte halbwegs an das Deutschland-Ghana-Spiel der gleichen Gruppe anknüpfen. Der Weltfußballer Christiano Ronaldo steht mit seiner Nationalelf damit kurz vorm Aus. Dass es gestern noch nicht so weit war, lag an den Ausgleichstreffer in der 95. (!) Spielminute, der einen durchaus verdienten Sieg der Amis zerstörte.

Was war eher nicht so?

Also manche der folgenden Spiele hätten bei einem der vorvergangenen Turniere zu den Highlights gehört, nicht aber bei dieser WM.
Argentiniens Last-Minute-Sieg gegen Iraner etwa, nachdem man ein ganzes Spiel lang nichts auf die Beine brachte, ja, fast noch froh sein musste, nicht in Rückstand geraten zu sein. Am Ende war es dann den Unterschied namens Lionel Messi. Nigeria schmeißt Bosnien mit 1-0 aus dem Turnier und hat nun selbst beste Chancen auf das Achtelfinale. Dort steht außerdem bereits Belgien, die gestern ein sehr schwaches Spiel mit einem glücklichen Sieg beendeten. Ecuador besiegte Honduras 2-1 und könnte die Schweiz noch abfangen.

Überhaupt hat sich das Teilnehmerfeld schon etwas aufgeteilt:
Raus sind bereits die Teams von Kamerun, Spanien, Australien, England, Honduras und Bosnien.
Im Achtelfinale befinden sich dagegen schon Holland, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Argentinien und Belgien, sowie mehr als wahrscheinlich auch Frankreich.

Der Rest entscheidet sich ab heute, denn in den nächsten vier Tagen erleben jeweils zwei Gruppen ihr Finale. Heute fangen die Gastgeber an. Alles andere als ein Gruppensieg wäre eine Enttäuschung. Kroatien und Mexiko kämpfen um das Weiterkommen, Chile und Holland um den ersten Platz ihrer Gruppe.

Miro the Hero

Sambamärchen. Eindrücke vom zweiten Gruppenspiel gegen Ghana.

Vom Himmel in die Hölle, und noch mal zurück: In Fortaleza entwickelte sich am Samstagabend eine packende Partie, an deren Ende ein leistungsgerechtes Unentschieden steht. Leistungsgerecht deshalb, weil beide Mannschaften in der furiosen zweiten Hälfte auf Sieg gingen. Die Spannung war greifbar, und am Ende weiß man nicht, ob man zufrieden sein soll oder eher nicht. Nach dem Spielverlauf kann man das sein. Finde ich jedenfalls. Doch als ich mich gestern Abend beim Public Viewing ein bisschen umgehört habe, hörte ich vorrangig negative Stimmen. Scheiße war's, ganz schlecht. 

Och nöö, so drastisch hab ich das nicht gesehen. Wir waren nicht besonders stark, das muss man zugeben. Viele kleine Fehler im Spielaufbau (und mit klein meine ich Philipp Lahm), Unkonzentriertheiten, und ein paar negative Aspekte, die gegen Portugal noch so fern schienen. Sind wir halt wieder geerdet, passiert. Wichtig ist, dass wir unsere Schlüsse daraus ziehen. Vielleicht sollte man aber auch nicht alles so mies sehen, und den Spielverlauf von einer ganz anderen Perspektive betrachten: Hey, Ghana war nämlich wahnsinnig stark.
Kompakt hinten, stets gefährlich vorne. Unsere letzten Pässe, meistens auf unseren Goalgetter Thomas Müller, kamen nie an. Ständig grätschte ein rotes Bein dazwischen. Das Spiel erinnerte mich in so vielen Punkten an eines unserer Vorbereitungsspiele, das – wie soll es auch anders sein – unser Match gegen Ghana simulieren sollte: Das 2:2 gegen Kamerun. Wir scheinen uns gegen die Athletik und die Robustheit der afrikanischen Teams etwas schwer zu tun. Auch damals spielten wir mit einer »falschen Neun« und brachten damit recht wenig zustande.

Aber genug rumgemeckert. So viel Heulerei hat dieses Spiel echt nicht verdient, dafür war es viel zu unterhaltsam, zu spannend. Ich hab selten so mitgefiebert wie am Samstag und es war echt toll, dass ich das mit Hunderten von anderen Menschen tun konnte. Solche Spiele sind wie gemalt für das allseits beliebte Gruppenglotzen. Gemeinsamer Jubel über das Kopfball-Knie-Tor von Mario Götze, das auch ein Thomas Müller kaum mülleresker hinbekommen hätte. Gemeinsamer Frust nach dem schnellen Ausgleich. Gemeinsamer Verzweiflung nach der völlig unnötigen Führung für Ghana. Gemeinsames Zittern, als danach eher ein 3-1 in der Luft lag als der Ausgleich. Und alles war nur Vorlauf für den eigentlichen Höhepunkt des Spiels: Der Auftritt von Miro-Hero!

Erster Ballkontakt von Klose bei dieser WM ...
Unser Mannschafts-Opa Miroslav Klose wurde vor dem Turnier etwas aus der Startelf verdrängt. Ungünstig, wollte er doch dieses Jahr in Brasilien den WM-Torrekord von Ronaldo knacken. Gegen Portugal saß er jedenfalls 90 Minuten auf der Bank. Doch das scheint dieses Jahr sein Job zu sein: Erst zusammen mit Schweinsteiger reinkommen, um eine schwimmende deutsche Mannschaft wieder auf Kurs zu bringen, dann seinen Fuß hinhalten, wo er am meisten gebraucht wird. Klose benötigte bei dieser Fußball-WM 2014 genau einen Ballkontakt, um seinen 15ten WM-Treffer zu erzielen. Ronaldo ist damit eingeholt. Grenzenloser Jubel folgte, und Klose ließ sich auf seinen alten Fußballer-Tagen noch zu einen seiner berühmten Saltos hinreißen (mit mäßigen Erfolg). Die Geschichte des Miro-Hero – ganz großes Kino. Schade, dass es nicht noch zu mehr reichte.


Und wenn schon: Der Achtelfinal-Einzug ist nur noch Formsache. Da die USA ihr Spiel mit dem gleichen Ergebnis 2-2 beendeten, reicht uns im nächsten Spiel gegen Jürgen Klinsmanns Truppe ein Remis zum Gruppensieg. Und bei einer Niederlage müssen Ghana und Portgual unsere Tordifferenz auch erstmal aufholen. Das sollte eigentlich reichen. Durch eine verrückte Konstellation wird das nächste Spiel aber zum echten Politikum: Der Bundestrainer Löw trifft auf seinen Vorgänger Klinsmann, der ihn zum Assistenten gemacht hat, und ohne den der Jogi sehr wahrscheinlich keine Anstellung beim DFB hätte. Es sind die besonderen Geschichten. Und jetzt erwartet die ganze Welt von den beiden, dass sie sich bekämpfen und bloß kein Unentschieden spielen – denn das würde beiden reichen. Ein Schelm der Böses dabei denkt …

WM-Tagebuch #7 - Zenit überschritten

Sambamärchen. Die ersten Mannschaften können ihre Heimreise bereits nach einer Woche schon buchen. Darunter ist auch die Mannschaft, die 2010 noch am längsten im Turnier verweilte …

Kommt euch die WM nicht auch schon wie eine Ewigkeit vor? Was haben wir nicht schon alles gesehen: massenhaft Tore, eine fesselnde deutsche Mannschaft und einen gedemütigten Weltmeister von 2010. Am Mittwoch folgte dann die Krönung dieser ersten so grandiosen WM-Woche: Spanien scheidet als eines der ersten beiden Teams in der Vorrunde aus. Das, worauf wir alle gehofft haben, ist eingetreten. Es gibt nach drei großen Turnieren endlich wieder einen anderen Titelträger.
Es ist ein krachender Untergang, der aber eigentlich nur noch eine Frage der Zeit war. Irgendwann hat jede Epoche sein Ende. Die spanische Nationalmannschaft der Jahre 2008 bis 2012 wird mit Sicherheit als eine der besten Teams in die Fußballgeschichte eingehen, man wird in vielen Jahren zurückblicken, und sich mit größter Ehrfurcht an das Tiki-Taka und dieses Ensemble um Iniesta, Xavi, Ramos und co erinnern. Doch im Jahre 2014 – das wissen wir jetzt - hat diese Generation ihren Zenit überschritten.
Ob dieses Gruppenaus eher auf die eigene Schwäche als auf die gegnerische Stärke zurückzuführen ist, darüber lässt sich streiten. Fakt ist: Nach Holland traten nun auch die Chilenen bärenstark auf, ließen den Iberern keine Luft zum Atmen. Einmal spielte man einen fantastischen Konter, ein anderes mal patzte Casillas – 2-0. Hochverdient. Am Ende ist dieser frühe spanische Abschied irgendwie auch eine Gemeinschaftsproduktion: Die Niederlande schoss den Weltmeister an, Chile nutzte seine Verunsicherung für zwei Stiche ins Herz. Egal welches der beiden Teams im Achtelfinale auf Gastgeber Brasilien trifft, es wird auf jeden Fall ein Duell auf Augenhöhe.

Das sag ich auch nach dem eher dürftigen 2-3 der Oranje gegen taper kämpfende Australier. Dass die Niederlande sich schwerer tun würde als gegen völlg konsternierte Spanier, konnte man irgendwo erwarten. Doch zeitweise am Rande einer Niederlage zu stehen, nein, das wird die Elf um Robben, van Persie und Sneijder selbst wohl am meisten überrascht haben. Es war ein Arbeitssieg, aber sowas muss auch hin und wieder mal sein. Für Australien geht’s hingegen wieder recht früh zurück nach Down Under. Zwei richtig gute Auftritte haben in dieser Todesgruppe B leider nicht gereicht. Vielleicht holen sie sich noch den dritten Platz vor Spanien und selbst wenn das nicht klappt, haben sie mit Tim Cahills Ausgleich zum 1-1 immerhin einen der schönsten Treffer des Turniers gelandet.

Neben Spanien und Australien muss außerdem Kamerun die bittere Heimreise antreten. Wer sich allerdings so zeigt wie beim 0-4 gegen Kroatien, der hat's auch nicht anders verdient. Undiszipliniert, harmlos, charakterschwach – wie bei so vielen afrikanischen Mannschaften wird dadurch viel Potential verschenkt. Aber hauptsache die Prämie stimmt, hmm?

In der Gruppe C sahen wir am zweiten Spieltag recht harmlose Spiele: Kolumbien besiegte die Elfenbeinküste 2-1, einfach weil sie besser waren. Das Aufbäumen der Ivorer kam viel zu spät und so müssen sie noch mal ein wenig zittern. Dabei können sie von Glück reden, dass den Japanern gegen dezimierte Griechen einfach kein Tor gelingen wollte. Die Schönspielerei der Japaner ist nun mal völlig nutzlos, wenn es gegen robuste, körperlich überlegene Abwehrreihen wie die griechische geht. Sie hätten noch drei Stunden so weiterspielen können, und es wäre ihnen trotzdem kein Tor gelungen. Pure Unfähigkeit.

Heute kann bereits die nächste große Fußball-Nation aus dem Turnier fliegen. Eine, die bereits gestern gespielt hat: England. Dazu müsste den Costaricanern heute gegen Italien mindestens ein Unentschieden, und damit eine ähnliche Überraschung wie vergangenen Samstag, gelingen, als sie Uruguay besiegten. Geschieht das nicht, ist für die »Three Lions« noch alles drin. Ein eigener, nicht allzu knapper Sieg gegen den Außenseiter würde tatsächlich noch reichen, wenn die Italiener dann auch ihr letztes Gruppenspiel gegen Uruguay gewinnen. Letztere zeigten sich gestern aber stark verbessert und können endlich wieder ihre wichtigste Waffe im Angriff einsetzen: Liverpool-Stürmer Luis Suarez, der auch gleich mal einen Doppelpack schnürte. Der zwischenzeitliche Ausgleich von England ist daher nur noch erwähnenswert, weil Wayne Rooney damit seinen allerersten WM-Treffer landen konnte.

Neben Italien gegen Costa Rica gibt es außerdem noch zwei weitere Partien, beide in der Gruppe E: Im Spiel Schweiz gegen Frankeich kann heute eine kleine Vorentscheidung fallen: Wer gewinnt, ist wohl sicher durch und hat beste Karten auf den Gruppensieg, mit dem man ein mögliches Achtelfinale gegen Argentinien vermeiden könnte. Honduras und Ecuador kämpfen ums Überleben. Der Verlierer fliegt!


Wir hören uns am Sonntag, wenn auch Deutschland sein zweites Gruppenspiel hinter sich hat … Bis dahin!

WM-Tagebuch #6 – Die Partycrasher

Sambamärchen. Der Gastgeber patzt im zweiten Spiel, und wird seinen Favoritenstatus langsam los.

0-0 .. das klingt so langweilig, so unspektakulär, so zäh und alles andere als unterhaltsam. Doch manchmal steckt in so einem torlosen Unentschieden eine Menge Pfeffer. Der zweite Auftritt des Gastgebers Brasilien gegen Mexiko gehört zu den besseren, mit Sicherheit ist es das beste 0-0 dieser WM.

Schuld daran ist, wie soll es bei diesen Ergebnis anders sein, ein Torhüter: Guillermo Ochoa vom französichen Absteiger AJ Ajaccio. Er machte das Spiel seines Lebens, zeigte Glanzparaden en masse oder stand stets goldrichtig. Die Selecao verzweifelte, ganz Brasilien litt mit und spätestens als der mexikanische Schlussmann kurz vorm Ende einen wuchtigen Thiago-Silva-Kopfball aus vier Metern von der Linie holte, war er das Schreckgespenst, der Partycrasher. Er schaute sich um, nickte zufrieden und hielt auch in der restlichen Spielzeit das Remis fest. Beinahe hätten seine Teamkollegen noch für den sensationellen Sieg gesorgt, doch auch Brasilien hat mit Julio Cesar einen richtig guten Torwart. Angstgegner Mexiko – nicht zuletzt auch wegen der Niederlage im olympischen Finale 2012 – hat also wieder mal zugeschlagen.
Nun bedeutet dieses Unentschieden noch kein Erdbeben, ist auch nicht besonders dramatisch, aber es hat die Gastgeber-Nation ein wenig nachdenklicher gemacht. Der Status des absoluten Top-Favoriten, der ist spätestens seit dem gestrigen Abend von Fortaleza erstmal futsch.

Am Ende jubelten die Mexikaner über das 0:0, die Stars der "Seleção" waren...Vieles an Brasilien kann man ein wenig mit Portugal und Christiano Ronaldo vergleichen. Es gibt mit Neymar einen absoluten Weltstar, um den sich viele richtig gute Spieler versammeln. Doch reicht das für den Weltmeister-Titel? Die brasilianischen Weltmeister-Mannschaften waren früher einfach ganz anders besetzt – z.B. 2002: Ronaldo, Ronaldinho, Roberto Carlos, Lucio, Cafu, Rivaldo … alles fantastische Spieler. Qualitativ reicht das aktuelle Team nicht an diese früheren Tage heran. Doch das muss ja nix heißen, das wissen wir Deutschen schließlich selbst am besten: 2006 trug uns die Euphorie der Heim-WM bis ins Halbfinale, obwohl wir nicht die ganz großen Namen hatten (Ich mein, seriously, vergleicht die Elf von damals mal mit der von heute). Wir hatten alle zusammen ein Erlebnis, das den Brasilianern gestern nicht vergönnt war. Erinnert ihr euch noch? Wir taten uns damals im zweiten Gruppenspiel gegen Polen ähnlich schwer, und gewannen erst in der letzten Minute. Das hat ungeahnte Kräfte freigesetzt. Die Party fing erst dort so richtig an – in Brasilien kommt sie immer noch nicht so recht in Gang.
Aber genug gemeckert, vielleicht hat dieses 0-0 auch seine Ursache im starken Auftreten der Gegner, und in der Tat bin ich begeistert von den Mexikanern. Schon gegen Kamerun waren sie die klar bessere Mannschaft, gestern mindestens ebenbürtig. Die Abwehr um Kapitän Rafael Marquez hatte fast alles im Griff, und wenn nicht, dann rettete sie ja dieser verrückte Keeper mit der witzigen Frisur. Wären sie vorne doch nur ein klein wenig konsequenter gewesen … Die Sensation war möglich, doch auch so sind sie schon die Partycrasher von Fortaleza.
In der Form schaffen sie es ins Achtelfinale … und drüber hinaus? Nun, auch wenn da möglicherweise Holland und Spanien lauern, ist diesen Mexikanern alles zuzutrauen. Sie haben viele talentierte Spieler (Olympiasieger 2012 wird man nicht ohne Grund), einen genialen Trainer und – normalerweise finde ich das nicht so wichtig – einen Klimavorteil. Trainer Herrerra setzt vorrangig auf einheimische Spieler und lässt die europäischen Legionäre oftmals draußen. Der Lohn: Topfitte Leute, die nach so einem intensiven Spiel wie gestern irgendwie weniger erschöpft aussahen, als viele andere, vor allem eben europäische Mannschaften. Fazit: Mexiko zu unterschätzen, wäre ein ganz ganz große Fehler.

Und sonst? Gestern hatte Mehr-als-Geheimfavorit Belgien seinen ersten Auftritt und schien unter den Erwartungen zusammenzubrechen. Gegen den kompakt stehenden Außenseiter Algerien lief zunächst gar nix zusammen, so dass das 0-1 fast folgerichtig war. Doch Trainer Marc Wilmots bewies ein goldenes Händchen und brachte mit Fellaini und Mertens die beiden späteren Siegtorschützen. Das war ein zäher, nervöser Auftakt, doch ich bleib dabei: Belgien kann ordentlich was reißen.
Den Abschluss des Tages stellte der Kick zwischen Südkorea und Russland dar. 1-1 hieß es am Ende, vor allem verursacht durch zwei unterirdische Torwart-Leistungen. Russlands Igor Akinfeev, sonst ein richtig guter Mann zwischen den Pfosten, ließ in der zweiten Hälfte den Ball mehrmals in die Mitte abklatschen. Der Höhepunkt mit Ansage: Ein relativ harmloser Schuss von Lee sprang ihm durch die Hände, weil er sich nicht zwischen fausten und fangen entscheiden konnte. Seine Teamkollegen schafften zwar noch den Ausgleich, doch mehr war nicht drin. Einen Sieger hatte dieses Spiel aber auch nicht verdient.

Heute: Holland ist mit einem Sieg ziemlich sicher im Achtelfinale und Spanien kann schon die Heimreise planen, wenn sie gegen Chile nicht gewinnen. Gemeinsam übrigens mit dem Verlierer von Kamerun gegen Kroatien. Das könnte brisant werden ...

WM-Tagebuch #5 – Von Sekunden und Zentimetern


Sambamärchen. Was neben dem deutschen WM-Auftakt noch so los war, und warum die Torlinientechnik ein wahrer Segen ist.

Erstmal: Sorry, aufgrund der Gegebenheiten (Deutschland-Spiel und so) fiel die Betrachtung für den Sonntag leider aus, doch wird natürlich jetzt hier mit nachgeholt. Ich kann aber auch nicht gerantieren, dass ich jetzt tagtäglich wirklich was abtippe, weil mich das Uni-Geschehen zurzeit etwas stärker im Griff hat. Immerhin schreibe ich in knapp zwei Wochen meine ersten Klausuren, da gibt’s tatsächlich wichtigeres als Fußball. (So'n Schmarn ..) Aber ich versuche stets ein Dreiviertelstündchen freizumachen. Jetzt zum Beispiel. Also, was war los am Sonntag und am Montag, mal abgesehen vom schwarz-rot-geilen 4-0?

Am ehesten bleibt mir da der dramatische schweizerische Sieg in Erinnerung. Die Eidgenossen um Bayern-Star Shaqiri stolperten sich da teilweise einen echten Murks zusammen und Ecuador ging auch verdient mit einem 1-0 in die Halbzeit. Mehmedi glich kurz nach selbiger zwar aus, doch so richtig überzeugend wurde es auch dann nicht. Das Spannende im Fußball ist aber, dass das alles nichts bedeuten muss. Man kann 90 Minuten lang schlecht spielen, und dann in den letzten Sekunden eben doch noch den entscheidenden Treffer landen. Und das tat die Schweiz. Weil sie endlich mal kämpften und schnell spielten. Damit hat die WM auch ihren ersten Last-Minute-Sieg. Mich freut das, denn unsere Nachbarn gehören zu meinen »Zweitteams«, den Teams, denen ich ebenfalls die Daumen drücke. Dazu gehören außerdem die Oranje, Belgien, Bosnien und die USA. Die beiden Letztgenannten hatten ebenfalls ihren jeweils ersten Auftritt – mit ganz unterschiedlichem Ausgang. Während Bosnien in seinem ersten WM-Spiel ziemlich unglücklich durch ein Eigentor und einem Typen namens Lionel Messi gegen Argentinien verlor – die in der Form übrigens nicht wirklich zu den absoluten Top-Favoriten zählen, aber das kann ja noch kommen - , konnten die Vereinigten Staaten ihren Ghana-Fluch beenden. 2006 sind sie in der Gruppenphase, 2010 im Achtelfinale an den »Black Stars« gescheitert. Clint Dempsey lieferte das Gegenstück zur Schweiz, traf schon nach 33 Sekunden (ich brachte meinen Livestream übrigens perfekt unperfekt in der 40. Spielsekunde zum Laufen). Die Führung hielt ziemlich lange gegen schwache Afrikaner, doch man vergaß das Toreschießen. So gelang dem Gegner der sehenswerte Ausgleich, nur um kurze Zeit später wieder zuzuschlagen: John-Anthony Brooks netzte mit einem Mats-Hummels-Gedächtnis-Kopfball ein, und schien völlig fassungslos zu sein, dass er grade ein Tor fabriziert hat. Das war gleichzeitig auch der Endstand. Erster Sieg im ersten Spiel für Jürgen Klinsmanns Truppe, die dank dem unerwarteten Erfolg (und der hohen portugiesischen Pleite) plötzlich richtig gute Chancen aufs Achtelfinale hat.

Frankreich gegen Honduras wird in der WM-Nachbetrachtung sicherlich nicht zu den Highlights gehören, dafür war es eine viel zu eindeutige Sache. 3-0 hieß es am Ende, doch grade das 2-0 sollte noch eine spezielle Erwähnung finden, denn es ist das erste Tor der WM-Geschichte, das erst so richtig durch die Torlinientechnik seine Anerkennung findet. Benzema schießt an den Innenpfosten und vom honduranischen Keeper springt der Ball zurück. Hinter die Linie. In keiner Kamera-Perspektive ist es wirklich eindeutig zu sehen, wie schwierig ist es da erst für die Schiedsrichter. Die Technik sagt: Tor. Es ist schön, dass den Referees so eine Entscheidung (und eine Menge Druck) abgenommen wird. Es vermeidet unnötige Schwierigkeiten und elende Diskussionen. Ich bin echt begeistert, danke für diese Erfindung, ehrlich!

Hab ich denn noch ein Spiel vergessen? Oh ja, richtig, Iran gegen Nigeria. Nun, ich kann dazu recht wenig sagen, weil ich zu der Zeit eher mit dem Feiern des deutschen Sieges beschäftigt war. Mich hat es aber auch nicht wirklich interessiert. 0-0 hieß es am Ende – und ja … das scheint ja definitiv alles zu sagen. Das erste Unentschieden, das erste torlose Match - Es bleibt eine Ausnahme in einer sonst höchst unterhaltsamen Reihe von Partien:
Die WM ist mit 44 Toren nach 14 Spielen auf Rekordkurs!

Brazuca 2014.

Für Schland und Schumi

Sambamärchen. Ein Bericht vom 4-0-Auftaktsieg über Portugal.
Auf den chillig schönen Liegestühlen in Violett ... da sitz ich irgendwo :D





















Wow!
Wer hätte das gedacht?
»Oh wie ist das schön« sangen die deutschen Fans im Stadion von Salvador.
»Oh wie ist das schön« sangen die Fans auf den Fanmeilen der Republik.
Und auch in der Strandbar zu Magdeburg, wohin es mich für das erste deutsche Spiel gegen die Portugiesen verschlug, schallte das Kult-Lied kurzzeitig durch die Reihen. Dabei war grade mal die erste Halbzeit bei der Weltmeisterschaft 2014 vorbei.

Das war verrückt, vor allem aber erlösend: Ich muss ja zugeben, dass ich vor diesen WM-Auftakt echt 'ne Menge Schiss hatte. Sieg 2006, Sieg 2008, Sieg 2012, ist ja alles schön und gut, aber grade bei letzterem Duell hatten wir doch ein wenig Glück auf unserer Seite. Nun traten die Iberer auch noch mit drei frisch gebackenen Champions-League-Siegern (Pepe, Fabio Coentrao und Christiano Ronaldo) an. Irgendwann reißt jede kleine aber feine Serie und ich hatte die Befürchtung, am 16. Juni 2014 wären wir mal fällig

Falsch gedacht.

Dieser 16. Juni 2014 wurde ein guter Tag für den deutschen Sport.
Ein Tag, der mit einer unerwarteten, und damit umso schöneren Nachricht begann: Michael Schumacher ist aus dem Koma erwacht. Es ist irgendwie ein kleines Märchen, eine perfekte Konstellation: Erst am Samstag beschwor Lukas Podolski in der Pressekonferenz, den WM-Titel für den fußballverrückten Formel 1-Weltmeister holen zu wollen. Seit Montagmorgen hat das Ganze irgendwie was Sagenhaftes. Ausgerechnet am Tag des ersten Deutschland-Spiels erwacht die deutsche Sportikone! Wenn das mal kein gutes Zeichen ist?

Es war ein gutes Zeichen.

Werden wohl keine Freunde mehr fürs Leben: Pepe (l.), der die Rote Karte sah, und Thomas Müller
Pepe findet Müller jetzt nicht so cool.
Alle Ängste waren unbegründet, und stattdessen wurde es ein noch größerer, noch schönerer Sieg als alle zuvor. 4-0 fegten die Löw'schen Jungs Portugal vom Rasen der Arena Fonte Nova Salvador. Dort, wo sich am Freitag bereits die Niederländer zum Titelfavoriten ballerten, zogen die Deutschen perfekt nach. Özil und Götze standen wohl für viele ziemlich überraschend in der Statelf, noch dazu in einem 4-3-3 ohne echte Spitze – ich persönlich war skeptisch. Im Nachhinein kannste sagen: Wofür brauchste 'nen Mittelstürmer, wenn du Thomas Müller in den Reihen hast? Drei Tore, die auch ein Miroslav Klose nicht besser hätte machen können. Drei Tore, die ein klares Ausrufezeichen in Richtung WM-Torschützenkönigstitelverteidigung setzten. Ein Elfmeter, astrein rausgeholt von Götze, ein Willenstreffer mit dem Pausenpfiff und ein Abstauber – nichts, womit man einen Schönheits-Preis gewinnt, aber wozu auch? Weil der oben genannte Pepe ihm die Hand ins Gesicht schlug und eine halbe Kopfnuss verpasste, kann sich der Bayer auch noch als Rotekarterausholer feiern lassen. Zwischendrin köpfte Mats Hummels noch einen Eckball in die Maschen, so dass den Schland-Fans bereits zur Halbzeit sämtliche Steine vom Herzen gefallen sind. Einen besseren Auftakt hätte sich wirklich niemand wünschen können.

Bei aller Euphorie darf man aber nicht vergessen, dass dies nur die ersten drei Punkte waren. 4-0, das klingt so brutal gut, doch kann schnell wertlos sein. Denken wir nur mal zurück an 2010, wo wir zunächst 4-0 gegen Australien gewannen, nach der unerwarteten Niederlage gegen Serbien im zweiten Spiel aber noch mal richtig heftig zittern mussten. Das darf und wird uns diesmal nicht passieren!

Heute darf aber erstmal gefeiert werden. Die Hoffnungen auf ein drittes, und dieses mal titelbringendes Sommermärchen sind auf jeden Fall geweckt. Holt den Pokal, für Schland und Schumi, mag man ihnen hinterher rufen.

In diesem Sinne: Auf eine schöne Zeit!

WM-Tagebuch #4 – Eine Underdog-Story

Sambamärchen. Gestern gab es gleich vier Spielen, von 18 Uhr abends bis 5 Uhr morgens lief der längste Spieltag dieser WM, und ich war tatsächlich verrückt genug, wieder alle Partien zu verfolgen. Ich wurde nicht enttäuscht, denn das Turnier macht munter weiter.

Underdog, Sparringspartner, Punktelieferant – Man hat viele böse Bezeichnungen für die Rolle der kleinen Mannschaften finden können, die in die Todesgruppen B und D gelost wurden. Australien war die eine, Costa Rica die andere. Ihre Chancen standen ungefähr bei Null, und eigentlich dürfen sie sich absolut jeden Treffer ausgelassen feiern, den sie in Brasilien erzielen. Nachdem Australien freitags schon beeindruckend gekämpft hat, setzte Costa Rica gestern dem Ganzen noch die Krone auf: Sie legten dem Mitfavoriten und WM-Vierten Uruguay nämlich gleich drei Eier ins Netz, kassierten dafür nur eins... 3-1 - Die erste Sensation des Turniers!
Natürlich lag das vorrangig am erschreckenden Auftreten der Südamerikaner, die gegen den klaren Außenseiter in Halbzeit eins nur einen Elfmeter zustande brachten. Viel zu wenig, angesichts der teils abenteuerlichen Verteidigung des Gegners. Man sah deutlich, warum Costa Rica als Punktelieferant gilt - woher die Urus ihren Geheimfavoriten-Status haben, blieb allerdings weitestgehend unbeantwortet. 
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Costa Rica freut sich über Platz 1
Diego Forlan, 2010 noch bester Spieler des Turniers, tauchte komplett ab, genauso wie 60-Millionen-Mann Edinson Cavani. Vielleicht waren sie sich zu sicher, in Halbzeit zwei noch das ein oder andere Tor zu schießen. Das rächt sich. Denn das sind genau die Momente, die den Anfang für die ganz großen Underdog-Stories darstellen. Costa Rica drehte auf, wohingegen die Beine der Celeste immer schwerer wurden. Das 1-1 durch Joel Campbell (spielt offiziell tatsächlich bei Arsenal London) war schon eine dicke, fette Überraschung, doch in Fortaleza lag an diesem Nachmittag so viel mehr in der Luft. Es roch nach Sensation, ja, nach Wunder. Und die geschehen bekanntlich immer mal wieder. Oscar Duarte, ein Name den ich grade googeln musste und wahrscheinlich nie wieder hören werde, sorgte mit seinem klasse Kopfball schließlich für die Führung. Und die verteidigten die Mittelamerikaner dann mit viel Leidenschaft und Herz. Was ihnen an Qualität fehlt, wurde in solch einer Situationen durch den unbändigen Willen kompensiert. Uruguay sollte in jenem Spiel kein Tor mehr schießen. Marcos Urena (same here …) machte den Sack zu. Das was weltweit wohl nur die kühnsten Träumer prophezeit hatten, wurde Wirklichkeit: Costa Rica schlägt Uruguay und ist nach dem ersten Spieltag in der Todesgruppe D Tabellenführer. Eine echte Underdog-Story. So schnell kann's gehen.

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Jubeltechnisch Topfavorit: Kolumbien
Auch sonst war viel los. In den anderen drei Spielen fielen jeweils drei Tore, was die Torebilanz dieser Weltmeisterschaft jetzt auf 28 Tore nach 8 Spielen schraubt. In Südafrika waren wir noch nicht mal bei der Hälfte. Kolumbien besiegte Griechenland, weil sie die Tore stets zum richtigen Zeitpunkt machten. Eins ganz am Anfang, eins kurz nach der Halbzeit und eins ganz am Ende. Ergibt 3-0 und den ersten Erfolg des Geheimfavoriten, der außerdem den bisher schönsten Torjubel des Turniers vollzog. Italien und England lieferten sich in Manaus, mitten im Dschungel am Amazonas, ein Duell auf Augenhöhe, das sich auch recht schnell erzählen lässt: England macht viel Druck, Italien das 1-0. Zwar erzielten die »Three Lions« nur zwei Minuten später schon den Ausgleich, doch ihr laufintensives Spiel hatte seinen Preis: Nach der neuerlichen Führung der Azzuri durch Mario Balotelli waren die Engländer platt, körperlich am Ende. Das haben die Italiener schon viel cleverer gemacht, auch wenn ihr Fußball nicht wirklich ansehnlich war. Am Ende zählen nur die drei Punkte, und sie haben jetzt allerbeste Chancen auf den Gruppensieg.
Spät in der Nacht, 3 Uhr deutscher Zeit, wagten sich dann nur die letzten Idioten noch vors TV-Gerät. Und sie sahen ein schönes Spiel, dass der Japaner Keisuke Honda in genialer Art und Weise eröffnete. Die 1-0-Führung über die Elfenbeinküste hatte zwar noch lange Zeit Bestand, doch die Afrikaner waren das spielbestimmende Team. Was dann folgte, lässt sich eigentlich kaum erklären: Weltstar Didier Drogba, den Trainer Lamouchi (höhö) zunächst noch auf der Bank ließ, kam in der 62. Minute ins Spiel, und das muss bei den Japanern so einen Eindruck hinterlassen haben, dass das Spiel komplett kippte. Wilfried Bony und Gervinho trafen zum 1-1 und zum 2-1 – in den Spielminuten 64 und 66. Das nennt man dann wohl den Drogba-Effekt ... Japan erholte sich davon nicht mehr, und verlor sein erstes Spiel. Noch ist in dieser Gruppe C alles möglich, doch Kolumbien und die Elfenbeinküste haben schon mal beeindruckend vorgelegt.

Heute starten u.a. die Schweiz, Frankreich und Argentinien ins Turnier. Morgen steht dann die erste Herausforderung für unsere Jungs an. Die Aufregung steigt. 
Ate breve!

WM-Tagebuch #3 – Alles liebt Oranje

Sambamärchen. Der zweite WM-Tag mit anhaltenden Schiedsrichterdiskussionen und einem denkwürdigen Ergebnis

Spain v Netherlands: Group B - 2014 FIFA World Cup Brazil
Die Wende im Spiel: Van Persie macht den "fliegenden
Holländer"
Es muss schon verdammt viel passiert sein, wenn man knapp 24 Stunden nach Anpfiff des ersten WM-Spiels schon geneigt ist, Prädikate wie »denkwürdig« oder »atemberaubend« in den Mund zu nehmen. Denkwürdig, das war allein schon die Konstellation: Die beiden letzten WM-Finalisten wurden bereits in der Gruppenphase erneut zusammengeführt, noch dazu im ersten Spiel. Doch wirklich denkwürdig war dann vor allem das, was die beiden, nein pardon, was EINE Mannschaft auf den Rasen der Arena Fonte Nova in Salvador zauberte. Mit 5-1 deklassierten die Niederländer den Europa-Welt- und Europameister Spanien. Fünf zu eins! Jene Holländer, die vor knapp zwei Jahren sang- und klanglos mit 0 Punkten nach der EM-Vorrunde ihren Hut nehmen mussten, jene Holländer, die mit einer stark verjüngten No-Name-Truppe nach Brasilien reisten und denen von nicht wenigen das erneute frühzeitige Aus prognostiziert wurde. Nach einem der verrücktesten Fußballspiele der vergangenen Jahre steht die Fußballwelt Kopf, wenigstens für ein paar Tage. Dabei schien alles seinen gewohnten Lauf zu nehmen: Die Iberer zogen ihr Spiel auf und erzielten per Elfmeter die 1-0-Führung. Das selbiger nicht berechtigt war, ist im Nachhinein nur noch eine Randnotiz. Dafür sorgte einer der bekannteren Namen im Oranje-Kader: Robin van Persie. Sein Tor kurz vor der Halbzeit gab dem Spiel die entscheidende Wende, weil es wichtig, vor allem aber weil es so großartig war. Eine 50-Meter-Flanke aus dem Halbfeld vollendete der ManU-Star per Flugkopfball. Die perfekte und ästhetischste Interpretation der Bezeichnung »fliegender Holländer«. Extrasahneklasse. Und doch war es nur ein Vorgeschmack auf das Spektakel der zweiten Halbzeit, der vor allem Bayern-Spieler Arjen Robben seinen Stempel aufdrückte.
Robben of the Netherlands scores a goal against Spain during their 2014 World Cup Group B match at the Fonte Nova arena in Salvador
Robben zum 2:1
 Er, die tragische Figur des 2010er-Finals von Johannesburg, drehte auf und machte vermutlich eines der besten Spiele seiner Karriere. Zwei Tore, eins schöner als das andere. Beim 2:1 glänzte er mit grandioser Ballkontrolle, das letzte Tor erzielte er mit einer wahren Energieleistung, als er dem frisch gekürten Champions-League-Sieger Sergio Ramos davonsprintete und Iker Casillas umkurvte. Zudem trafen Stefan de Vrij und erneut Robin van Persie, der einen kapitalen Schnitzer des Schlussmanns ausnutzte. Das saß! Vier teilweise echt brillante Tore der Elftal, davon ein irreguläres, aber dazu sagt man dann wohl »ausgleichende Gerechtigkeit«, und völlig konsternierte Spanier – Ungläubigkeit dominierte vor den TV-Geräten und dort wird sich die Fußball-Welt gestern wohl kollektiv ein bisschen in die Oranje verliebt haben. Denkwürdig, das ist genau das richtige Wort für diesen zweiten Fußballabend in Brasilien. Und das auch nur weil »historisch« ein bisschen zu hochtragend klingt, schließlich waren hier nur die ersten 3 Punkte der Gruppenphase zu vergeben. Holland kann noch rausfliegen, Spanien noch Weltmeister werden – doch das ist jetzt beides so unwahrscheinlich wie nie zuvor.

Nun gab es gestern noch zwei andere Spiele, die im Schatten des großen Duells standen, an sich aber ebenfalls super Unterhaltung boten. Mexiko und Kamerun lieferten sich beispielsweise eine Regenschlacht, in dessen Verlauf den Mexikanern zwei reguläre Tore aberkannt wurden. Wenn der Schiedsrichter das beides sieht, und vor der Halbzeit auch noch einen fälligen Strafstoß pfeift, dann kann's auch schnell mal 3-0 stehen. Gott sei dank, mag man angesichts der ohnehin schon andauernden Diskussionen sagen, erzielten die Lateinamerikanern noch ein weiteres Tor, dem man die Anerkennung endlich mal nicht gewähren konnte. So steht ein hochverdienter Sieg gegen alles im allen enttäuschenden Kamerunern.
In Cuiaba duellierten sich zum Abschluss des Tages ein Geheimfavorit und ein krasser Außenseiter. Klingt eindeutig, sieht nach 15 Minuten und 2:0 für Chile gegen Australien auch so aus, doch wer dachte das sei's gewesen, wurde eines besseren belehrt. Die Aussies fanden zurück ins Spiel, machten den Anschlusstreffer und hatten in der zweiten Halbzeit genügend Chancen für den Ausgleich. Ein offener Schlagabtausch zwischen den spielerisch talentierten Chilenen und den bis zur Erschöpfung kämpfenden Socceroos entwickelte sich. Das bessere Ende hatten die Südamerikaner – 3:1. So macht Fußball Spaß!

Es war ein gigantischer zweiter WM-Tag. Brasilien 2014, das könnte ein begeisterndes Turnier werden.

WM-Tagebuch #2 - Der erste Tanz

Sambamärchen. Das Eröffnungsspiel mit einem Pechvogel, dem Retter einer ganzen Nation und einem sterbenden Schwan.
England-Legende Gary Lineker hat's perfekt zusammengefasst: Die WM 2014 begann gestern Abend sehr vielversprechend. Nicht unbedingt wegen der Eröffnungsfeier mit dem Höhepunkt des Auftritts von Pitbull, J.Lo und Claudia Lette, die ihren WM-Song sangen (der, das muss ich mal zugeben, mir inzwischen immer besser ins Ohr geht), sondern viel mehr wegen das was in den 90 Minuten auf dem Platz abging. 3 zu 1 siegte der Gastgeber – und das echt verdammt glücklich.
Nein, ich wollt wirklich nicht gegen Brasilien sein. Dem Gastgeber gönnt man schließlich 'nen vernünftigen Auftakt, allein der Stimmung wegen, und so. Doch spätestens in der 70ten Minute war meine geplante Neutralität dahin: Der Brasilianer Fred geht zu Boden und fordert einen Elfmeter. Und bekommt ihn. In der Wiederholung suche ich und der gesamte Rest der Welt verzweifelt ein Foul, doch wir finden es nicht. Fehlentscheidung. Ein sterbender Schwan mal wieder, Buh! Ich werde laut, wollt ihr echt so gewinnen? Ja, wollen sie, ganz egal wie. Verständlich. Aber es ist der Moment, wo ich zu den Kroaten überlaufe. Vorher boten sie schon eine fantastische Leistung, und spielten den Part des Spielverderbers perfekt. Sie schossen zum Entsetzen der brasilianischen Fans die Führung, beziehungsweise tat das einer der Herren in gelb, weil er nicht mehr ausweichen konnte. Der arme Marcelo! Da fieberste monatelang auf dieses Turnier hin und machst dann gleich das erste Tor der WM. Nur halt auf der falschen Seite. Dumm gelaufen. Sein Glück und das von vielen Millionen Brasilianern war am Donnerstag dann die pure Anwesenheit eines gewissen Neymars. Der Spieler vom FC Barcelona, dem alle die Rolle des Superstars dieser WM zutrauen, brachte die Selecao vor der Halbzeit mit einem gar nicht mal so unschönen Weitschusstor zurück. Danach war der Ausgang des Spiels völlig offen. Knisternde Spannung, zwei ebenbürtige Teams, toll, was will das Fußball-Herz mehr? Und dann kommt es zu besagter Szene, die alles kaputt macht. 
Vielleicht wär's nicht so schlimm gewesen, wenn Neymar bei der Ausführung des darauffolgenden Elfers nicht noch die ganze Bandbreite der Absurdität mitgenommen hätte: Hampelmann-Anlauf, Schuss, Torwart Pletikosa hat ihn eigentlich, doch haut ihn sich dann doch noch selbst irgendwie ins Netz. Mit der Vorgeschichte ist es alles in allem der Inbegriff eines richtig hässlichen Strafstoßes. Den Gastgebern kann's egal sein. Kroatien hat noch seine Chancen, doch es soll einfach nicht sein. Kurz vorm Ende schießt Oscar die Entscheidung, mit der Pike aus 20 Metern. Auch wieder so ein komisches Ding. So gewinnt Brasilien die Punkte, Kroaten dafür aber die Sympathien. Ein aufregender Auftakt war's, so kann die WM doch gerne weitergehen. Vielleicht mit weniger Schiedsrichterklöpsen, das wäre ganz nett.

Wie geht’s weiter? Krass, würd ich sagen, schließlich stehen jetzt die ersten Spiele in den beiden Todesgruppen B und D an. Die Neuauflage des WM-Finals 2010 inklusive, außerdem der erste Auftritt von England und Italien. Ich meld mich am Sonntag wieder, ate breve!

WM-Tagebuch #1 – Es geht los!

Sambamärchen. Vorausblick auf das Eröffnungsspiel Brasilien gegen Kroatien


Seit einem gefühlten halben Jahr zähle ich gedanklich nun schon die Tage runter, und zuletzt ist aus dieser Grundvorfreude auch sowas wie echte Fußball-Euphorie geworden. Erst waren es drei Monate, dann nur noch drei Wochen, vor kurzem waren es nur noch drei Tage und jetzt … jetzt sind es nur noch 3 Stunden! Die Fahnen hängen alle, damit ist es offiziell - die Fußball-WM 2014 steht unmittelbar bevor. Vier Wochen Fußball, Fußball, Fußball!Doch bevor die Deutschen ins Turniergeschehen eingreifen, gibt’s noch einige andere Highlights: Die heutige Eröffnungsfeier könnte höchst interessant werden, vor allem wenn man das ganze Chaos in Sao Paulo so verfolgt hat. Zudem präsentiert sich heute erstmals Gastgeber und gleichzeitig absoluter Top-Favorit Brasilien. Kann die Selecao mit den immensen Erwartungen fertig werden? Ich denke mal schon, und für mich – sag ich ganz ehrlich – sind sie Titelkandidat Nummer 1. Mt Kroatien steht ihnen allerdings sofort ein ordentliches Kaliber gegenüber, ein extrem unangenehmer Auftaktgegner, der unter Umständen auch zum Spielverderber werden kann. Es könnte extrem spannend werden, ich tippe aber auf ein relativ klares 3-0.


Mit dem Eröffnungsspiel beginnt auch die Zeit, in der ich mich als WM-Blogger probiere. Im (normalerweise) 2-Tages-Rhythmus blicke ich auf das WM-Geschehen, die kuriosen, besonderen Momente auf und neben den Plätzen zurück, und klatsche meine gesamte Aufregung vor und die kollektive Jubelarie nach den Siegen gegen Portugal, Ghana, den USA, plus hoffentlich vielen weiteren Gegner, in Textform. Ich werde jede Sekunde genießen und ich hoffe, ich kann euch an meiner ungebremsten Fußballverrücktheit ein klein wenig teilhaben lassen. Nun wurde aber genug geschwafelt, lasset die Spiele beginnen!

Wenn ich Bundestrainer wäre ...

 würde ich soooo vieles anders machen. 

Nun, nachdem der Kader endgültig feststeht, kommen wir aber endlich mal zum letztmals angesprochenen Punkt 2.)
Wer gehört mMn. in die erste Elf?

Torwart: Manuel Neuer
Wenn wir uns in Deutschland auf einer Position gewiss keine Sorgen machen müssen, dann ist es jene auf der Linie. Der Welttorhüter des Jahres 2013 ist spätestens seit dem CL-Triumph mit den Bayern in der oberen Spitzenklasse anzusiedeln. Seine Reflexe sind einzigartig, genauso wie seine sehr, sehr (nein, ernsthaft, wirklich SEHR!) offensive Interpretation der Position, die dem geneigten Fußball-Fan gern mal die ein oder andere Schweißperle auf die Stirn zaubert. Und hinter Neuer lauert dann auch mal eben noch Roman Weidenfeller, die in meinen Augen beste »Nummer 2« bei dieser WM.

Linke Verteidigung: Benedikt Höwedes
Bis vor wenigen Wochen hatte Borussia Dortmund auf der Linksverteidiger-Position so etwas wie ein Abo: Marcel Schmelzer galt hier eigentlich stets als erste Wahl, dann kam die Verletzung, und es spielte sich sowohl im Verein als auch im Nationalteam ein gewisser Erik Durm an ihm vorbei. Als dann Marcell Jansen vom Minimalisten-Nichtabsteiger aus Hamburg als einer der ersten aus dem Kader gestrichen wurde, schien der BVB-Block auf links besiegelt. Doch es kam anders: Schmelzer war nicht komplett fit, seine Form Löw nicht brasilientauglich genug. Er flog ebenso aus der Mannschaft. Normalerweise wäre damit Erik Durm die logische erste Wahl, doch so ganz scheint Löw dem Jungspund nicht zu trauen. Er hat noch einige andere Spieler mit wesentlich mehr Erfahrung, die diese Position bekleiden können, und ich würde ebenfalls eher darauf vertrauen. Vermutlich wird es mit Benedikt Höwedes ausgerechnet einer vom Erzrivalen, ein Schalker, der die Dominanz der Schwarz-Gelben durchbricht.

Innenverteidigung: Per Mertesacker, Mats Hummels (Jerome Boateng)
Eigentlich ist es ja ein Dreikampf: Mit Jerome Boateng kämpf hier noch ein dritter um den begehrten Platz in der Mitte. Der spielt zwar nicht mehr ganz so stark wie im historischen Bayern-Jahr 2013, doch seine Aussetzer vergangener Zeiten hat er hinter sich gelassen, oder wenigstens auf ein Minimum reduziert. Der Wahl-Londoner Mertesacker galt bis auf einer Schwächephase 2010 bis 2012 immer als solider Hüne in der Innenverteidigung. Nach seinem Wechsel zum FC Arsenal hat er wieder zu gewohnter Stärke gefunden, ist dort inzwischen sogar Kapitän und als der »big fuckin' German« bekannt. Er hat sich auf der Insel durchgesetzt und dürfte damit seinen Platz hier auf jeden Fall sicher haben. Bleibt noch Mats Hummels von Borussia Dortmund, der in den beiden Meisterjahren definitiv bester deutscher IV war, seitdem aber von kleineren Verletzungen immer wieder zurückgeworfen wurde. Vielleicht hat er nicht seine beste Form, aber an guten Tagen kann er mit seinen klugen Pässen auch mal einem Spiel die entscheidende Wendung geben. Hummels profitiert von einem möglichen Wechsel Philipp Lahms ins defensive Mittelfeld, denn damit verschwindet Konkurrent Boateng wohl auf die rechte Abwehrseite.

Rechte Verteidigung: Jerome Boateng (Philipp Lahm)
Unser Kapitän Philipp Lahm ist, egal wo er spielt, zu 100% gesetzt. Normalerweise betrifft dies die rechte Außenverteidigung, doch Pep Guardiola hat ihn bei Bayern auch schon mehrmals auf den 6ern platziert. Jogi Löw scheint dieses Experiment gefallen zu haben, denn Lahm fand sich hier auch gegen Armenien wieder. Mehrere Medien berichten, dass das auch seine Position im Auftaktspiel gegen Portugal sein wird. Nun ja. Ich persönlich hab einen der besten Außenverteidiger der Welt lieber auf der Außenverteidigung, ganz klar, aber eigentlich kann er überall ran. Für den Fall, dass Jogi ihn wirklich ins Mittelfeld setzt, springt Jerome Boateng ein. Nicht der schlechteste Ersatz. Kevin Großkreutz hat sich in der letzten Saison hier zwar großartig präsentiert, danach dann aber eher nicht so (Döner-Attacke, Pinkel-Skandal).

Defensives Mittelfeld: Philipp Lahm, Sami Khedira (Bastian Schweinsteiger)
Ein Langzeit-Verletzter, der seine Top-Form sucht und ein kränkelnder Leader beanspruchen die strategisch so wichtige »6er«-Position vor der Abwehr. Es ist verständlich, dass Löw grade hier nach Alternativen sucht und dabei zuallererst an Philipp Lahm denkt. Denn alles andere wäre ein Risiko: Mathias Ginter? Christoph Kramer? International sind beide komplett unerfahren. Toni Kroos? Wäre auch denkbar, ging aber auch schon mal nach hinten los (man nehme das EM-Halbfinal 2012). So muss halt der Kapitän aushelfen, und das wird auch gut gehen. Nur wer spielt neben ihm? Khedira ist bereits so lange wieder im Training, wie Schweinsteiger verletzt war – seit Anfang Mai – und ist grade für so einen Auftakt die bessere Wahl. Doch irgendwie klingt es so unnatürlich: Schweini nur auf der Bank? Hmm. An fitten Tagen wäre die Reihe Lahm-Schweinsteiger wohl das beste, was die Welt auf der 6 zu bieten hat. Zurzeit ist es aber ein Risiko. Schon 2012 schleppte er sich mit einer Lädierung durchs Turnier, das Ergebnis ist bekannt. Ob nun Schweinsteiger oder Khedira: Christoph Kramer wäre in meinen Augen ein großartiger Einwechselspieler, der beißen und kämpfen kann.

Linkes Mittelfeld: Lukas Podolski
Marco Reus' Verletzung könnte sein Segen sein: Lukas Podolski ist erster Ersatz für den Dortmunder. Unser Prinz Poldi hat eine ähnliche Entwicklung wie sein Mannschaftskollege Per Mertesacker hinter sich. Nach wunderbaren Sommermärchen-Jahren wurde er allmählich aus der Mannschaft gedrängt – die Konkurrenz war einfach wahnsinnig stark. Nun muss er sich zurück kämpfen. Auch ihm tat der Wechsel nach London gut, und er brennt wie nie auf diese WM. In diesem Team hab ich in letzter Zeit selten so eine agressive Körpersprache gesehen, wie die von Poldi gegen Kamerun und gegen Armenien. Alles sagte: Ich bin heiß auf dieses Turnier, und ich werde verdammt noch mal alles geben. Das ist vorbildlich und diesen Biss braucht eine Mannschaft die Weltmeister werden will. Klar, wird Reus' mit seinem Fleiß und seinem Spielwitz fehlen, dafür bringt Podolski eben die Prise Robustheit mit. Andre Schürrle wäre, falls Poldi seinen guten Eindruck aus den zwei Testspielen (insgesamt 1 Tor und 4 Torvorlagen) nicht bestätigen kann, ein erstklassiger Joker. Ich mache mir hier keine Sorgen.

Zentrales Mittelfeld: Toni Kroos
Ich bin wahrlich kein Fan von Toni Kroos, doch ich würde ihn trotzdem gern hinter den Spitzen sehen. Warum? Nun, das hängt zunächst einmal damit zusammen, dass Marco Reus verletzt ist, denn sonst wäre er hier definitiv meine erste Wahl gewesen. Das setzt sich damit fort, dass Mesut Özil weit von seiner Bestform entfernt ist und bei der WM das deutsche Offensivspiel eher hemmen als bereichern würde. Man kennt ihn überall auf der Welt, und die Leichtigkeit von 2010 würde er allein schon deshalb nicht mehr wiederfinden. Also vermutlich. Wenn Löw doch auf ihn setzt, dann lasse ich mich gerne vom Gegenteil überzeugen. Von vielen habe ich zuletzt auch den Namen Mario Götze gehört, was durchaus verständlich wäre: 15 Saison-Tore sprechen für sich. Trotzdem ist er für mich ein großes Fragezeichen. Ist er nicht eher ein viel besserer Einwechselspieler? Kann er mit den Druck umgehen? Wie kommt er mit den Bedingungen zurecht? Daher stelle ich Kroos auf. Denn er hat eine Stärke, die im deutschen Team sonst eher zu kurz kommt: Seine unglaublich guten Distanzschüsse. Auch das könnte ein wichtiges Mittel bei der WM sein.

Rechtes Mittelfeld: Thomas Müller
Stammplatz! Seine unorthodoxe Art ist auf und neben dem Platz im Nationalteam einfach einzigartig, und er ist ständig für ein Tor gut. Man muss ihn ja nicht unbedingt mögen, um seine Klasse anzuerkennen. Zudem kämpft er bis zum Umfallen, also: Was will man mehr erwarten? Julian Draxler und Mario Götze lauern dahinter, doch in meinen Augen ist der Müller da vorne unersetzlich.

Sturm: Miroslav Klose
Nur einen einzigen Stürmer, noch dazu einen 36-Jährigen mit allerlei Wehwehchen , mitzunehmen, brachte Jogi Löw viel Kritik ein. Kann ich nicht so nachvollziehen. Klose wird seine Tore machen, den WM-Rekord von Ronaldo knacken und sein Image als »Turnierspieler« bestätigen, da bin ich mir sicher. Als möglichen Ersatz sieht Löw dann eine »falsche Neun« vor. Thomas Müller hätte durchaus Qualitäten im Angriff und kann als einziger Mittelfeldspieler im gesamten Kader auch halbwegs mit der Kopfball-Stärke von Klose mithalten. Andre Schürrle oder Lukas Podolski könnten ebenfalls locker im Angriff stehen. Da gäbe es so viel Potential, das einen Ersatz-Stürmer a la Volland nicht nötig macht. Nur: Bitte, bitte, lieber Bundestrainer, versuche es nicht mit Mario Götze oder Mesut Özil. Die beiden können den Part nämlich NICHT spielen.

Wäre ich Bundestrainer, würde ich also diese Elf gegen Portugal aufs Spielfeld schicken:
Neuer – Höwedes, Hummels, Mertesacker, Boateng – Lahm, Khedira – Podolski, Kroos, Müller – Klose

Mal sehen, wie es dann tatsächlich kommt ... ;)