Wisst ihr, was ich seit einer gewissen
Zeit nicht mehr ausstehen kann? Nostalgie. Also nicht, dass ich nicht
gerne nostalgisch bin. Nostalgie ist nicht per se doof. Zum
Innehalten ist das gut. Zum Erinnern. Ja, auch zum kurzen
Glücklichsein. Aber eigentlich ist Nostalgie so unheimlich lähmend,
und einer der beschissensten Zustände auf Erden. Denn sie drückt ja
immer eine gewisse Unzufriedenheit mit der Gegenwart aus, vielleicht
auch Angst vor der Zukunft. Ich weiß nicht wie's euch geht, aber ich
find das supertraurig. Nostalgie kann richtig mies sein, besonders
wenn es ein Dauerzustand ist. Ich meine, wie traurig ist denn das
bitte?
Weil die Menschen alle so gerne
nostalgisch sind, hört man diesen einen Satz so oft, und ich kann
ihn nicht mehr hören, ich hasse ihn, ich verabscheue ihn: Früher
war alles besser. Nein, ich finde es nicht mehr witzig. Das ist ein
Satz, den die „Älteren“ gerne mal raushauen dürfen, kein Ding,
aber das allerschlimmste ist ja: Meine Generation, die „Jugend“,
meine Altersgenossen tun das auch ganz gerne. Und meinen das viel zu
oft todernst. Damit haben wir echt ein Problem, sorry.
Früher war alles besser. Was ein
Katastrophensatz. Wer ihn sagt, der hat aufgegeben. Der ist
lethargisch, gefangen – um's mal dramatisch auszudrücken – in
einer mausgrauen Matrix. Wie zum Geier ist denn das bitte passiert?
Haben wir alle keinen Bock mehr auf den Aufbruch, keinen Bock mehr
auf die Zukunft? Wir sagen: Früher war alles besser. Statt: Alles
wird wieder gut.
In den letzten Monaten nehme ich
vermehrt Stimmen wahr, die diese 2010er so ein bisschen als
„kulturelle Stagnation“ bezeichnen, oder auch als „Retromanie“.
Das hat mich nachdenklich gemacht. Weil es irgendwo stimmt, und das
ist eine Entwicklung, die wir nicht gehen sollten. Die Vergangenheit
wurde schon immer glorifiziert, aber so ausgiebig wie heute, so auf
das große gute „Damals“ fixiert? Bestimmt nicht.
Das Millennium und der Bruch
Das 20. Jahrhundert war, jetzt vom ereignisgeschichtlichen Rahmen mal ganz losgelöst, ein faszinierender Mix aus Ideenreichtum, Innovation und Kreativität. Und ich glaube, das hat echt mit der zukunftsgewandten Grundeinstellung der Menschen zu tun. Sie hatten mehr Bock auf futuristische Spielereien, mehr Fantasie, sie blickten viel eher nach vorne als zurück. Was müssen die 90er für eine atemberaubende Zeit gewesen sein. Der Kalte Krieg war vorbei, technische Meilensteine wurden geschaffen, das Millennium, das ominöse Jahr 2000 stand vor der Tür, der Inbegriff der Zukunft, geil!
Und dann kam irgendwann ein Bruch. Der
Zauber verflog. Warum, kann vermutlich keiner so genau sagen.
Vielleicht machen wir es uns einfach, wenn wir sagen: 9/11 und all
die Krisen danach waren eine solche Zäsur, dass sie uns diese
progressive Neugier verdarb und stattdessen die Angst im Vordergrund
stand. Nein, so würde ich das nicht sehen. Es ist … man, es ist so
Vieles.
Zwei von vielen Problemen
Zum einen würde ich sagen, dass wir viel weniger geneigt sind uns festzulegen, als vielleicht noch unsere Eltern. Das ist ja nichts Neues. Heißt im Umkehrschluss aber auch: Wir denken nicht wirklich weit in die Zukunft, und sind heilfroh, überhaupt auch nur irgendwas hinzubekommen. Und richtig zufrieden sind wir auch nicht, weil – egal wo man hinschaut – überall etwas scheinbar Besseres existiert. Überall schwingt der Gedanken mit, bloß nichts falsch zu machen. Wir denken kleinteiliger. Die Wenigsten haben noch eine klare Meinung. Und wenn, dann verpackt die Masse sie in sanfter Ironie oder Sarkasmus.
Besonders gerne natürlich in sozialen
Netzwerken, und die sind der zweite große Grund für unsere Misere.
Nicht, dass sie existieren. Wir wissen nur noch nicht, wie wir sie
richtig nutzen. Und so lange wir überlegen übernimmt das Kapital
schon das WWW, setzt alles auf Quantität und die Masse lässt sich
von Social Media Feeds berieseln, und geht nur noch raus, um
Erinnerungen für die eigene Facebook-Timeline zu schaffen. Scheiße!
Ihr merkt schon, das ist ein Thema, bei
dem man sich zurzeit bis zur Unendlichkeit auskotzen könnte.
Darüber, dass die Menschen ihren Frust im Netz rauslassen. Darüber,
dass Egoismus und Selbstdarstellung die Maximen dieses Zeitgeistes
sind. Darüber, dass die Masse einfach doof ist – aber die klugen
Köpfe aus ihrem Potential und ihrem Talent eben auch nix machen.
Aber Hauptsache früher war noch alles besser. Es ist schließlich
einfacher zu meckern, als etwas zu verändern. Es ist einfacher,
sarkastisch zu sein, und es ist auch einfacher, Likes abzusahnen. Wie ich im letzten Artikel schon meinte, sollten wir alle mal aus dieser Blase herauskommen, dass unsere Netzaktivitäten irgendwas verbessern. Kein Tweet kann das. Auch kein Regenbogenprofilbild.
Alles wird wieder gut.
Ja toll, und nun? Jetzt habe ich doch alles angeprangert, was ich in diesem Post selbst gemacht habe. Ich war kurz nostalgisch. Ich hab mich im Internet ausgekotzt, Twitter auch schon bedient, und jetzt kommt dieser Part, wo man eine Lösung suchen muss. Es wäre so typisch, wenn genau jetzt der Artikel enden würde, und auch völlig legitim, wenn ich auch anbrülle: Fragt nicht mich, man, ich bin erst ZWANZIG! Aber nein, ich will das nicht. Dann hätte ich mir diesen Monolog auch sparen können.
Ich glaube das einfachste wäre echt,
wenn wir endlich mehr zum „Alles wird wieder gut“ kommen. Aber natürlich kann man Menschen keinen Optimismus vorschreiben. Hier Leute,
denkt jetzt mal so. Nee, ohne gute Gründe geht sowas nicht. Aber ... woher? Was ... aaargh, Helden, wo seid ihr? Es würde der Menschheit –
ja, so weit gehe ich – sehr gut tun.
Lasst uns noch einmal zurückreisen,
bis kurz vors Millennium, und mal nicht nostalgisch sein. Lasst uns
diese Energie mitnehmen, lasst euch wirklich ernsthaft inspirieren
von dieser Zeit. Denn es war nun mal wirklich die letzte „gute“
Epoche. Blickt nicht von heute drauf, nur weil das am einfachsten
ist. Guckt aus der Zeit heraus! Unsere Zukunft kann genauso glänzen
wie damals (und es ist scheißegal, was danach passiert ist), wenn
wir unsere Lethargie beenden und wieder unseren eigenen Shit leben. Und machen. Nicht nur meckern.