Max Mustermann und die verdammte Routine!


Max Mustermann ist uns allen bekannt. Sein Name prangt auf Formularen, die wir auszufüllen haben, er lächelt uns von Gesundheitspässen oder Führerscheinen entgegen, und zeigt uns stets an, wo unsere Identität zu hinterlegen ist. Max Mustermann ist der Inbegriff des Durchschnitts-Deutschen. Vor allem aber ist er eines: Austauschbar. Das ist nicht weiter schlimm, weil Max Mustermann fiktiv ist.
Oder etwa nicht?

Wenn ich mich umschaue, dafür reicht oft schon ein ausschweifender Blick durch die Fußgängerzone, dann bin ich mir dessen manchmal nicht mehr ganz so sicher. Max Mustermann gibt es, nur ist er im realen Leben keine Einzelperson, nee, viel eher die große Masse. Sie ist Durchschnitt. Sie ist austauschbar. Sie ist belanglos. Sie ist oberflächlich. Ich hege keinerlei Zweifel, dass die Max Mustermänner in der Freizeit ihre extravaganten Seiten ausleben, nur im Alltag tun sie's nicht, und das ist schade. Die Schnelllebigkeit unserer Zeit hinterlässt eben ihre Spuren. Im Groove des Wochenrhythmus genießt kaum jemand die kleinen, positiven Momente. Vielleicht nimmt man sie schon gar nicht mehr wahr, weil sie so darauf programmiert sind zu funktionieren. Malochen. Geld verdienen. Und zwischendrin möglichst wenig Ablenkung. Die Meisten rattern ihre wertvolle Lebenszeit emotionslos herunter, gönnen sich keine Fehler, und schalten ihre Neugierde ab. Bloß nix probieren, um nirgendwo anzuecken. Da werden ausgeleierte Phrasen traurigerweise zu Lebensmottos, zur Routine - Augen zu und durch. Oder: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Aber die ganze Problematik allein an der Arbeit festzumachen, ist falsch gedacht. Irgendwie sitzt der Mist doch viel tiefer in unserer Gesellschaft, und zeigt sich immer wieder. Auch in Situationen, die wir vielleicht nicht mehr hinterfragen. Schließlich ist es… ja … normal ist, so zu handeln,denn - erstens: machen es alle so, zweitens: wurde es schon immer so gemacht. Wer dagegen anlebt, wird schief angeguckt. Das macht man nicht, gehört sich nicht, und so.
Sagt wer?

Ich kann ja zum Beispiel sehr gut verstehen, dass ich in der Bahn nicht laut Musik hören und lauthals mitsingen sollte. Mir würde es nicht unbedingt auf den Sack gehen, täten es andere, aber manche benötigen halt ihre Ruhe. Gut, ist akezeptiert. Aber mit Kopfhörer im Ohr möchte ich sehr wohl 'nen bisschen in der Musik abtauchen dürfen, mit dem Kopf wippen, bisschen schunkeln. Allein für solche harmlosen Aktionen erntet man manchmal schon den ein oder anderen herablassenden Blick. Kein Scherz, ich wurde deswegen schon von älteren Mitfahrern ermahnt, es doch bitte zu unterlassen. Auf meine Frage, ob es sie irgendwie nervt oder belästigt, kam allen Ernstes das berühmte: DAS MACHT MAN NICHT. Holy Shit.

Fast noch schlimmer als diese knauserigen Mitmenschen sind aber die Situationen, in denen man eigentlich komplett aus sich herausgehen möchte, aber in einem von Konventionen geregelten Rahmen feststeckt. Beispielsweise wenn du jemanden kennenlernst. Man stellt sich die Standard-Fragen, klar, und quatscht irgendwas Belangloses. Das eigene Ich wird eher mal nach innen gekehrt, und weicht den janz normalen Floskeln. Das verkrampft. Das hemmt. Irgendwann stockt auch das Gespräch, es gibt immer mehr Laberpausen, und die führen wiederum zu noch mehr Nervosität. Ein Teufelskreis.

Wenn wir schon mal bei Dates und so sind: Mich kotzt in solchen Situationen ganz besonders die Zweckmäßigkeit von Komplimenten an, die sich in unserer Gesellschaft so etabliert hat. Ich gehe tagtäglich an echt vielen hübschen Menschen vorbei, ohne ihnen dies mitzuteilen, obwohl ich das echt gerne täte. Hey, ich mag deine Augen. Hey, du riechst gut. Hey, dir steht das Top ganz fabelhaft. Weil mich instinktiv eine Stimme zurückhält, die fragt: Wozu? Komplimente stehen ganz selten mal für sich. Und selbst wenn du dich überwindest, und ihr etwas Nettes sagst, einfach nur, damit sie ein gutes Gefühl bekommt, ist die Person gegenüber irritiert. Ja danke, und weiter? Manche Konversationen verfolgen immer ein vorgefertigtes Muster. In diesem Fall heißt das: Nach nettgemeinten Worten wird immer eine Gegenleistung erwartet.

Ich zeig euch mal ein Video von FouseyTube, dass mich erst zu diesen Text hier animiert hat. Darin verteilt er wahllos Rosen an seine Mitmenschen, die natürlich komplett verdutzt sind:

Ja, ich weiß, dieser Text hier ist höchst unstrukturiert und im Affekt geschrieben … versteht ihr trotzdem, was ich sagen will? Es gilt, diese krampfige Kruste der Gesellschaft aufzulösen. Sei das nun die Emotionslosigkeit im Alltag, der Drang, viel zu viel Lebenszeit mit negativen Dingen zu verschwenden, um dann viel zu wenig Lebenszeit mit guten Momenten zu füllen. Seien es die selten hinterfragte Normen, die wir uns aufzwingen lassen, anstatt sich wunderbar auszuleben. Es gibt gute, sinnvolle Manieren des Alltags, und es gibt komplett bescheuerte. Man furzt nicht am Essenstisch. In der Öffentlichkeit schreit man nicht, man singt auch nicht lauthals die Lieder in den Kopfhörern mit. Wie ich eben schon meinte: Man belästigt und stört niemanden. Man lässt jeden sein Ding machen. DAS kann ich tatsächlich noch verstehen. Gleiches erwarte ich dann aber auch.

Ich möchte kein Max Mustermann sein, der in gottverdammte Routine verfällt! Alltag ist wesentlich erträglicher, wenn man ein bisschen Abwechslung zulässt. Also los: Emotionen! Mut! Offenheit! Lasst euch inspirieren! Und damit meine ich jetzt nicht, hin und wieder mal einen tiefsinnigen Spruch auf Facebook zu posten, sondern wirklich ernsthaft an solchen Maximen festzuhalten.

Genug gesagt, ihr Max Mustermänner dieser Welt. Ich verabschiede mich mit einem Standard-Spruch, der noch nie so gepasst hat, wie jetzt: BLEIBT NEUGIERIG!

Sind wir 90's nicht die GEILSTEN?!

Manchmal, da sitze ich einfach nur da, und philosophiere darüber, in was für eine krass kuriose Zeit ich eigentlich gesetzt wurde. Straight in the middle of the Nineties! Mitten hinein in eine rasante Epoche, in der die digitale Revolution in regelrechte Exstase versetzt wurde.
Wenn ich so recht überlege, habe ich seit meiner Geburt so viele technische Neuheiten erlebt, all das, was die Menschheit so verwandelt hat, dass es mir fast schon normal vorkommt. All die schöne neue Glitzertechnik. Und dann wiederum der Hauch von Nostalgie, wenn ich eines der Geräte in die Hand bekomme, die von eben jenen Innovationen in den vergangenen Jahren vom Markt gespült wurden. Man kann auch sagen: In der prägendsten Zeit meines Lebens, meiner Kindheit und Jugend, habe ich sowohl die analoge, als auch die digitale Welt kennengelernt. Und das ist irgendwie ein … interessantes Gefühl. Das macht meine Generation interessant.
Da können wir 90s uns echt für feiern lassen. Und das tun wir ja auch: Die Neunziger sind voll im Trend, »Kennt ihr das noch«-Retro-Seiten bei Facebook kommen auch gut an, und immer wieder vernimmt man in unserer Altersgruppe zynische Kommentare a la »Die Kids heutzutage haben mit 10 schon das neueste Smartphone … also wir waren da ja noch GAAAANZ anders«. Ja, grade diese Kids heutzutage, der Einfachheit halber mal als 2000er bezeichnet, sind uns irgendwie unsympathisch. Von denen grenzen wir uns besonders gerne ab. Doch warum eigentlich? Sind wir echt sooo brutal unterschiedlich?

Also aus sozialwissenschaftlicher Sicht (hatter mal was gelernt, der Olli) ist da tatsächlich etwas dran. Kurz vorm Millennium endete nämlich die Generation Y. Bitte was?, denkt ihr euch jetzt vielleicht. Ich erklär's kurz:
In der Jugendsoziologie fasst man mehrere Jahrgänge, die unter ähnlichen gesellschaftlichen Umständen aufgewachsen sind, zu einer Generation zusammen. Demnach sind alle zwischen 1980 und ca. 1998 Geborenen Mitglied der Generation Y. Eine ihrer größten Besonderheiten ist eben, dass sie als erste mit den neuen technischen Möglichkeiten, vor allem mit dem Internet, aufgewachsen sind (und auch noch aufwachsen). Darauf folgt – wow, diese Namensgebung - die Generation Z, alles was nach 1998 auf die Welt gekommen ist und kommt.

Quelle: thinkstock.com
  Die Zetter ticken also ein bisschen anders als wir. Und was können die dafür? Exakt. Gar nix. Genauso wenig, wie's unserer Verdienst ist, vor 2000 auf die Welt gekommen zu sein. Wir haben letztendlich alle was gemeinsam: Wir sind Digital Natives. In etwa: Ureinwohner der digitalen Welt. Wir sind die alllerersten, die wirklich ersten von – vorausgesetzt wir hauen uns vorher nicht die Birne kaputt - Zigmilliarden Menschen der Zukunft, von einem ganzen neuen Alphabet an Generationen. Wir haben die grandiose Aufgabe, diese immer noch junge Welt weiterzuformen. Macht euch das mal bewusst. Nein, das Internet ist kein »Neuland«, wie es Merkel uns im letzten Jahr zu verstehen geben wollte, doch es ist eben noch lange nicht vollendet. Kein bisschen perfekt. Das hat mich im letzten Jahr echt gestört, als die Gemeinde der sozialen Netzwerke zum kollektiven Bundeskanzlerinnen-Spott ansetzte. Kein bisschen Selbstreflexion, einfach nur Arroganz. Arroganz gegenüber den Älteren. Lass gut sein, Muttchen, wir kennen uns im Netz 'n bisschen besser aus.

  Und genau diese Arroganz nervt mich auch auf der anderen Seite der demographischen Skala, wenn wir über die Jüngeren ablästern, was für verkorkste Kiddies das heutzutage das doch alles sind. Wenn dem so ist, dann sind die 2000er nur die logische Folge von uns verkorksten Zwischenbrötlern, weil sie es nicht anders kennengelernt haben.

  Das musste ich mal loswerden.

 Ich werde auch weiterhin einfach nur da sitzen, und darüber philosophieren, in was für eine krass kuriose Zeit ich eigentlich gesetzt wurde. Straight in the middle of the Nineties! Und dabei kann man's auch belassen. Denn so geil, wie sich manche von uns öfter mal geben, sind wir dann doch nicht. Das Hipstertum geht zum Beispiel auf unser Konto.

Nooooooooooooooooin.

Mineirazo 2014

Sambamärchen. Ein Rückblick auf die vielleicht surrealsten 90 Minuten der Fußballhistorie.

Jegliche Versuche, dieses gestrige Spiel in angemessenen Worten zu verpacken, führen ins Nichts. Dutzende Male habe ich mich während des Spiels gekniffen. Dutzende Male habe ich den Kopf geschüttelt. Und als ich vorhin aufgewacht bin, dachte ich, es wäre alles nur ein wunderschöner Traum gewesen. War's nicht. Das Ergebnis des gestrigen Halbfinals ist Realität.

Sieben zu eins.

Die DFB-Elf führt zur Halbzeit 5:0 gegen den Gastgeber Brasilien. So eine Gala...
Die Fußballwelt erlebte gestern Abend eines ihrer größten Erdbeben, wenn nicht sogar das größte der Geschichte. Die Dimensionen dieses Knalls sind historisch, allein schon wenn man von den Reaktionen liest. In Brasilien wird dieses Halbfinale auf einer Stufe mit dem Maracanazo 1950 gestellt, dem bisher dunkelsten Kapitel der brasilianischen Fußballgeschichte. Und hier in Deutschland sprechen manche vom größten Spiel seit dem »Wunder von Bern«. Normalerweise eine gnadenlos Übertreibung, doch widersprechen mag man dem Ganzen nicht. Wenn am Sonntag jetzt der Titel eingefahren wird, dann ist es das definitiv.

Wo warst du in diesen 18 Minuten, als Deutschland 5 Tore gegen den Gastgeber schoss?, wird man sich noch in Jahren, Jahrzehnten fragen. Ich war bei Bekannten, wo wir bei jedem deutschen Tor einen kleinen Schnaps trinken wollten – und dann irgendwann nicht mehr hinterherkamen. Als wäre es ein Suffspiel. Wahnsinn.

Es gab so viele unfassbare Momente gestern Abend in Belo Horzonte, doch die besten Bilder gab es am Ende: Beim siebten Tor durch Schürrle standen alle im Stadion, auch die Brasilianer. Sie haben allen Grund, von ihrer eigenen Mannschaft enttäuscht zu sein, doch sie vergaßen nicht, dem besseren Team Respekt zu zollen. Genauso lief es umgekehrt: Nach Schlusspfiff setzte kein deutscher Spieler zu überschwänglichen Jubelläufen an und spendete den gegnerischen Akteuren Trost, wohlwissend dass man hier eine ganze Nation in tiefe Trauer gestürzt hat. Nicht jede Nationalmannschaft hat so viel Größe, im Moment des Erfolgs dem Besiegten derart viel Mitgefühl entgegenzubringen.

Wisst ihr, wir haben schon so viele gigantische Spiele gesehen, die allesamt ein bisschen surreal waren. Ich meine, 4-1 gegen England, 4-0 gegen Argentinien, dann die Auftritte der Bayern und Dortmunder in der Champions-League-Saison 2013 … doch dieser 8. Juli 2014 war noch viel größer.
Es wird immer der Tag bleiben, an dem die Nationalmannschaft Brasiliens nach einem frühen 0-2 gegen die Deutschen komplett auseinanderbrach. Vor eigenem Publikum, in einem WM-Halbfinale. Es wird immer der Tag bleiben, an dem Miroslav Klose seinen WM-Torrekord aufstellte. Ein Tag, an dem Legenden geboren wurden. Die Sternstunde des Toni Kroos' oder das erschlagende Selbstbewusstsein eines Sami Khedira. Eigentlich hat hier fast jeder 'ne spezielle Ehrung verdient. Doch damit warte ich lieber noch ab.

Denn man darf nicht vergessen, dass es lediglich der Tag ist, an dem Deutschland das WM-Halbfinale 2014 gewonnen hat. Historisch ist es erst, wenn wir am Sonntag noch den letzten Schritt machen und – wer hätte gedacht, dass wir das wirklich sagen können – Weltmeister werden. Weltmeister! Dann, liebe Leute, erst dann war dieser gestrige Glanzabend auch Gold wert.  

WM-Tagebuch #13 – Wer zuerst trifft .

Sambamärchen. Ein (eeeeeeetwas verspäteter) Rückblick aufs Viertelfinale.

Nanu? Keine Auswertung des Frankreichs-Spiels? Kein Rückblick auf die ganzen anderen Viertelfinals? Ja, sorry, die Erklärung ist recht einfach: Zeitprobleme.
Dafür soll dieser Ausblick natürlich besonders umfangreich sein.

Wir befinden uns in der entscheidenden Phase der WM. Vier Spiele sind es noch, dann steht fest, aus welchem Land die Weltmeister 2014 kommen. In teilweise höchst dramatischen Viertelfinals setzten sich Deutschland, Brasilien, Holland und Argentinien durch.

Unser Sieg gegen Frankreich war erneut kein Ausbruch spielerischer Freude, aber auch keine neuerliche Enttäuschung. Das frühe Tor von Mats Hummels beruhigte uns alle, und stimmte die Hobby-Bundestrainer milde. Schließlich kam Jogi endlich unserem Wunsch nach, Philipp Lahm wieder nach hinten rechts zu setzen. ENDLICH! Der schnell Boateng rückte dafür in die Innenverteidigung. Zusammen mit bereits erwähnten Mats Hummels bildete er eine echte Mauer. Das war grandios! Das war stark! Und in den paar Momenten, wo es dann doch mal gefährlich wurde, rettete uns einmal mehr Manuel Neuer. Man hätte noch das 2-0 machen können, vielleicht sogar müssen, aber who cares? Der Sieg war verdient.

Brasilien startete sein Viertelfinale gegen Kolumbien furios, ging ebenfalls früh in Führung, was vielleicht zu der ein oder anderen übermotivierten Aktion führte. Es entwickelte sich ein rohes, teilweise überhartes Spiel. Sanktionen sprach der Schiri aber seltener aus. So konnte das Unglück seinen Lauf nehmen … Kurz vor Spielende sprang der Kolumbianer Zuniga, ebenfalls komplett übermotiviert, in den Rücken von Neymar. Eine Aktion, die in diesem Spiel nicht zum ersten Mal auftrat, weil es stets ungeahndet blieb. Bis dahin ging es ja auch immer gut aus. Nur in jener 87. Minute nicht. Neymar blieb liegen, mit schmerzverzerrten Gesicht und musste vom Feld getragen werden. Passiert halt, mag man sich als normaler TV-Zuschauer denken, zumal man von der Ansicht der vorigen Fouls schon ein Stück weit abgestumpft war. Von der ganzen Dramatik dieses Fouls erfuhr die Welt erst nach dem Spiel. Ein Lendenwirbel ist gebrochen, und man muss kein Arzt sein, um zu wissen, dass das ganz böse hätte ausgehen können. In den ersten Momenten soll Neymar sogar darüber geklagt haben, eine Beine nicht mehr zu spüren, was sich später nur als Störung herausstellen sollte. Seine Tränen, die die Fußball-Welt am Fernseh-Gerät sah, waren nicht nur Tränen des Schmerzes. Es waren Tränen der Angst, vielleicht nie wieder Fußball spielen, geschweige denn gehen zu können. Tatsächlich hätte ein Schlag zwei, drei Zentimeter höher zu dieser Katastrophe geführt … Als ich das zum ersten Mal gehört habe, musste ich schlucken. Neymar hab ich bei dieser WM am meisten bewundert.
Bewundernswert war nach dem Abpfiff aber die Herzlichkeit auf dem Platz, wo sie sich vorher noch massiv bekämpft hatten. Das schönste Bild dieser WM bisher lieferten David Luiz und James Rodriguez: Der Brasilianer tröstete die Neuentdeckung des Turniers minutenlang, und zollte ihn mit einer Geste ganz großen Respekt.

Was war sonst noch?

Argentinien gewann sein Spiel relativ unspektakulär mit 1-0. Auch hier war das Erfolgsgeheimnis ein frühes Tor.

Weil den Holländern selbiges nicht gelang, mussten sie gegen aufopferngsvolle Costaricaner ins Elfmeterschießen. Wer hätte das denn bitte gedacht? Oh man. Dort zeigte dann aber Louis van Gaal seine Qualitäten als genialer Stratege. Er wechselte mal eben einen neuen Torhüter namens Tim Krul ein, der die Ticos völlig irritierte und mit zwei gehaltenen Bällen zum Matchwinner avancierte. Großartig fand ich, dass Costa Rica sich nicht über die Mätzchen von Tim Krul beschwerten, und auch nach dem Spiel diese Spielchen als normales Mittel verteidigten. Daumen hoch! Und das letzte Schleifchen am Auftritt der Mittelamerikaner, die sich in Brasilien zu echten Legenden gemacht haben. Respekt!

Viertelfinal-Ausblick

Sambamärchen. Ein Ausblick aufs Viertelfinale.

Viertelfinale. Jetzt geht’s ans Eingemachte! Wir sind jetzt in der Phase, wo ein Ausscheiden keine Katastrophe mehr wäre, aber eben auch weit entfernt von einem guten Turnier. Schafft es Deutschland heute zum vierten Mal in Folge in ein WM-Halbinale? Und was macht der Rest so?

Frankreich gegen Deutschland

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenEs gibt doch nichts geileres als einen echten Fußballklassiker im altehrwürdigen Maracana, dem wir daheim in Deutschland bei Sonnenschein und Dreißig Grad beiwohnen dürfen. DAS ist doch endlich die WM, die wir uns erträumt haben. Man könnte sagen: Jetzt geht das Turnier erst so richtig los! Vorraussetzung dafür ist natürlich ein deutscher Sieg … und das wird alles andere als einfach. Die Franzosen waren bislang sehr stark, haben Honduras und die Schweiz problemlos geschlagen, gegen Ecuador durchgeatmet und im Achtelfinale die Nigerianer in der Schlussviertelstunde klug niedergerungen. Stürmer Karim Benzema ist in sensationeller Form und Neuentdeckungen wie Antoine Griezmann haben den Ausfall von Franck Ribery bisher völlig kompensiert. Frankreich ist wieder wer! Für sie ist dieser Viertelfinal-Einzug in der Tat schon ein Erfolg, man erinnere nur an das Desaster von Südafrika.
Wir hingegen konnten noch nicht so richtig überzeugen, doch so lange das Ergebnis stimmt, ist alles okay. Deutschland ist eine Turniermannschaft, die sich in solchen Spielen traditionell steigern kann. Das wird auch nötig sein. Über unsere Taktik ist in den letzten Tagen so viel diskutiert worden, dass ich's langsam echt satt habe. Fakt ist: Frankreich spielt offener als Algerien und – so paradox das auch klingt – gegen die Equipe Tricolore werden wir uns leichter tun. Ich glaube an uns, ich glaube an den Titel – ich glaube an ein 2-0.

Brasilien gegen Kolumbien

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenIn Fortaleza trifft der Gastgeber auf die bisher spielstärkste Mannschaft des Turniers, und das verspricht unendliche Spannung. Die Selecao stand schon gegen Chile kurz vorm K.O., konnte sich aber irgendwie noch retten. Das Glück dürfte allmählich aufgebraucht sein, und wenn es gegen Kolumbianer nicht besser wird, dann ist heute wirklich Schluss. So viel ist schon mal sicher. Es ist nicht nur ein Treffen zweier Südamerikaner, sondern auch das Duell zweier Shootingstars dieser WM. Auf Neymar war diese Rolle ja von Anfang an zugeschnitten, James Rodriguez hingegen hat sich erst in Brasilien so richtig ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Er ist der bisher beste Torschütze. Doch wer gewinnt am Ende? Ein Vorteil der Brasilianer könnte, neben den fanatischen Fans im Rücken, auch die Erfahrung sein. Kolumbien stand immerhin noch nie zuvor unter den letzten Acht. Hinzu kommt, dass der Sieg gegen Chile wahnsinnig viel Anspannung gelöst hat und die Spieler das große Desaster abwenden konnten. Ich würde es Kolumbien gönnen, doch ich sehe Braslien im Halbfinale.

Niederlande gegen Costa Rica

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenEs ist grad mal drei Wochen her, da behauptete ich glatt: Wenn Costa Rica heute gewinnt, dann ist das eine riesige Sensation.
Dreieinhalb riesige Sensationen später stehen die Costaricaner im Viertelfinale. Was sind dreieinhalb Sensationen? Ein Wunder? Ja, Wunder passt gut. Der Wunder-Viertelfinalist trifft auf den Topfavoriten Holland. Selten gab es in einem Spiel unter den letzten Acht so eindeutige Vorraussetzungen. Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich jetzt sagen soll: Wenn Costa Rica heute gewinnt, dann ist das … ja, was ist das dann? Wie kann man Wunder noch übertrumpfen? Nix. Darum wäre es wesentlich einfacher, wenn Oranje die Mittelamerikaner aus dem Turnier schmeißt, bevor hier noch die Erde anfängt, sich in die andere Richtung umzudrehen …
Nee, mal ernsthaft: 120 Minuten gegen Griechenland vs. Arjen Robben in Topform – klare Sache. Und: Costa Rica hat mit Keylor Navas zwar einen fantastischen Torwart – doch davon haben sich die Niederländer auch schon gegen Mexiko nicht aufhalten lassen. Ich schwöre: Wenn Costa Rica heute gewinnt, dann hole ich mir ein Trikot von Bryan Ruiz. Wirklich jetzt.

Argentinien gegen Belgien

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenDiese Partie wird ausgeglichen, komme was wolle. Die Argentinier spielen bisher kein berauschendes Turnier, brauchten gegen starke Schweizer die Verlängerung, Lionel Messi, ein spätes Tor und den Pfosten, um nicht vorzeitig heim nach Buenos Aires zu fliegen. Wenn nicht langsam endlich mal eine Leistungsexplosion kommt, wird Belgien sie schlagen – denn die haben ihre Form pünktlich zur K.O.-Runde gefunden. Der nüchternen Gruppenphase folgte gegen die USA ein grandioser Auftritt, auch wenn sie ebenfalls den Umweg über die Verlängerung gehen mussten. Die Geheimfavoriten strotzen also vor Selbstbewusstsein, haben schon jetzt eine Menge erreicht und sind hungrig auf mehr: Ein Halbfinale gegen den nördlichen Nachbarn Niederlande, das wär's doch! Die Gauchos werden aber etwas dagegen haben – scheiterte man doch bei den letzten beiden Weltmeisterschaften jeweils im Viertelfinale, jeweils an Deutschland. Grade im Land des Erzrivalen wollen sie endlich mehr. Aber hat man das nicht schon vorm Spiel gegen die Eidgenossen gesagt? Ich hoffe auf die »roten Teufel«!

WM-Tagebuch #12 – Gänsehautentzündungen

Sambamärchen. In den Achtelfinals setzen sich alle Gruppensieger durch – doch bei kaum einem läuft es wirklich rund.

Was waren denn das bitte für megaspannende Spiele?! Bereits im Achtelfinale bekommt die Fußballwelt die dramatischsten Seiten zu sehen, die solche KO-Spielen mit sich bringen können: Späte Tore, Geistesblitze, fünf mal Verlängerung und davon ging's zwei mal ins Elfmeterschießen. Boah!

Pinilla an die Latte ... Brasilien kurz vorm K.O.
Die Runde der letzten 16 begann ja schon mit einem Paukenschlag: Brasiliens Auftritt gegen Chile wurde ein intensives, emotionales und am Ende hochexplosives Duell. Der Gastgeber schrammte haarscharf an der nationalen Katastrophe vorbei, weil die Chilenen ebenbürtig waren. Mindestens. Doch der Gott im Himmel schien echt alles daran zu setzen, Brasilien nicht schon so früh aus ihrem Turnier zu werfen. Anders kann man es nicht erklären, dass der letzte Schuss von Mauricio Pinilla in der 120. Minute nur den Weg an die Latte fand – und nicht ins Tor. Oder als der letzte chilenische Schütze im Elfmeterschießen, Jara, seinen Schuss punktgenau an den Innenpfosten setzte, der dem Ball genau den Drall gab, sich um den Pfosten auf der anderen Seite zu drehen.
Chile ist raus. Und damit geht der wohl stärkste aller Geheimfavoriten. Die Gastgeber hingegen wissen wohl selber nicht, woher sie ihr ganzes Glück eigentlich nehmen …
Da muss ich doch glatt mal Mehmet Scholl zitieren: Gänsehautentzündung!

Nächster Gegner wird Kolumbien sein, das bisher wirklich das einzige Team dieser Weltmeisterschaft ist, das in absolut jedem Spiel überzeugen konnte. Und sie haben die Neuentdeckung der WM in ihren Reihen: James Rodriguez. Spätestens mit seinem überragenden 1-0 Treffer gegen Uruguay schoss er sich ins Gedächtnis der Fans, und weil es so schön war, schnürte er gleich einen Doppelpack. Die Urus, auch wenn ohne Luis Suarez, muss man erstmal derart souverän vom Platz fegen. Mit den Kolumbianern gibt es also tatsächlich noch einen Geheimfavoriten, der diesen Titel komplett zurecht verliehen bekommen hat …

Die unschöne Interpretation des fliegenden Holländers ...
Alles andere als ein Geheimfavorit sind die Holländer, die sich gegen Mexiko aber schwerer taten als erwartet. In einer wahren Hitzeschlacht in Fortaleza gingen die Lateinamerikaner kurz nach der Halbzeit in Führung, und plötzlich schienen sich all die Klischees zu bestätigen: Holland spielt 'ne überragende Vorrunde und fliegt dann früh raus. Es hätte ja auch so schön zu dieser WM gepasst, wenn schon wieder ein großes europäisches Team viel zu früh rausgeflogen wäre. Hätte hätte Fahrradkette, die Welt könnte heute viel anders aussehen, wenn die Mexikaner nach der Führung weiter Fußball gespielt hätten. Taten sie aber nicht. Stattdessen kam die Oranje zurück, überwand nach 87 Minuten den erneut fantastischen Keeper Ochoa, um das Spiel dann komplett zu drehen. Den Elfmeter in letzter Minute – Robben war mächtig abgehoben, noch so ein Klischee … - verwandelte der von Van Gaal so oft verschmähte Klaas-Jan-Huntelaar. 2-1. Schluss, Aus, Ende. Die Mexikaner scheiterten zum sechsten (!) Mal in Folge an der Hürde Achtelfinale. Da hilft auch kein Lamentieren vom supersympathischen mexikanischen Trainer Miguel Herrera – der Strafstoß war berechtigt.

Costa Rica sorgte dann am Abend für die nächste Sensation, wobei der Viertelfinaleinzug ihres Gegners Griechenland mit dem gleichen Substantiv belegt werden hätte können. Krass ist aber in der Tat, wie dieser Sieg zustande kam. Der Führung von Bryan Ruiz folgte bald eine gelb-rote Karte. Unterzahl. Fast 'ne halbe Stunde! Die Ticos kämpften mit viel Herz, doch es half nichts: Sokratis erzielte in der letzten Minute den Ausgleich. Verlängerung. Viele Team wären jetzt zusammengefallen, vor allem mit nur zehn Mann – nicht so die Costaricaner. Mit viel Glück und einen überragenden Torwart namens Keylor Navas retteten sie sich ins Elfmeterschießen, wo die eigentlich völlig kaputten Spieler ihre Strafstöße allesamt verwandelten. Weil dort der besagte Navas auch noch einen griechischen Schuss grandios parieren konnte, ist Costa Rica jetzt tatsächlich unter den besten Acht.
Nächster Gegner: Holland. Wenn uns diese WM eins gezeigt hat, dann dass definitiv nichts unmöglich ist ...

Im Spiel Frankreich gegen Nigeria wurde unser möglicher Viertelfinalgegner gesucht und, klar, war Les Bleus der Favorit. Doch das scheint in diesen Tagen eher zu hemmen, als das es beflügeln kann. Zumindest war das Spiel der Franzosen weitesgehend ideenlos, während Nigeria sehr stark agierte. Erst in der Schlussphase entschied sich dieses ausgeglichene Spiel, weil Paul Pogba endlich zeigte, warum er als das größte Talent unseres Nachbarlandes gilt. Angst muss man vor dieser Mannschaft allerdings nicht haben – Ähnliches wird man zwischen der Bretagne und der Cote d'Azure aber auch über uns Deutsche sagen, siehe Algerien …

WM 2014 Achtelfinale Argentinien - Schweiz Tor
Im Netz: Di Marias 1:0 lässt Schweiz verzweifeln
Der letzte Tag der Achtelfinals wurde gleichzeitig zum Tag der Verlängerungen. Zunächst schleppten sich die Argentinier gegen den Außenseiter Schweiz durch 90 zähe Minuten, in denen die Eidgenossen sogar die besseren Chancen hatten. Generell machten unsere Nachbarn ein großartiges Spiel, perfekt eingestellt von Ottmar Hitzfeld fehlte lediglich das Tor zur ganz, ganz großen Überraschung. Es sollte nicht fallen. Es ist so bitter, dass den Argentiniern dann genau ein Fehler reichte, um das Spiel an sich zureißen. In der 118. Minute verlor Juves Lichtsteiner, bis dahin nahezu großartig, einen Ball im Mittelfeld, den Lionel Messi dann nach starkem Sprint zu Angel di Maria durchbrachte, der wiederum nur einschieben musste. Doch das war es noch nicht: Quasi im Gegenzug kamen die Schweizer in Form von Dzemaili aus drei Metern zu einem Kopfball, der jedoch nur an den Pfosten prallte, und vom Knie des völlig überraschten Schützen knapp vorbeirollte. Wie schon Brasilien hilft den Argentiniern das Aluminium, seit neuestem auch bekannt der »Pfosten Gottes«. Ottmar Hitzfelds Karriere geht damit spektakulär zu Ende. Schade für diese sympathischen Schweizer, die Überraschung lag in der Luft!

Schafft es die behäbige Albiceleste, sich trotzdem ins Halbfinale zu mogeln? Belgien wird etwas dagegen haben, und ihr Spiel gegen die USA nährte zumindest die Hoffnung, dass die Südamerikaner wieder im Viertelfinale scheitern. Endlich zeigte der Geheimfavorit mal, wozu er fähig ist. Nur wollte dieses verflixte Tor nicht fallen, weil – auch das ist ein Trend dieser WM – in Person von Tim Howard wieder mal ein fantastischer Keeper im Weg stand. So benötigten die »roten Teufel« eine Verlängerung für ihre zwei Tore, doch auch hier begann das ganze Drama erst ganz spät: Mit dem Anpfiff der zweiten Halbzeit der Verlängerung brachte der grad eingewechselte Julian Green den Ball ins Netz der Belgier. Ein wahrer Sturmlauf begann. Die Amis warfen noch mal alles nach vorne und drängten Belgien an die Wand. Fast hätten die Amerikaner diesem phänomenalen Schlussspurt noch die Krone aufgesetzt, doch es sollte nicht sein. Klinsmann ist raus.

Es ist lange her, dass eine WM so dermaßen ausgeglichen war. Im Achtelfinale gab es im Prinzip nur ein, vielleicht auch zwei Spiele, die keine verrückteWendung parat hatten. Was will der Fußballfan mehr?
Nichts spricht dafür, dass es im Viertelfinale weniger Dramatik gibt … und das ist geil!

(K)eine Zeit für Optimisten

Sambamärchen. Eindrücke vom Thriller gegen Algerien.

So, jetzt haben wir alle mal tief durchgeatmet und 'ne Nacht drüber geschlafen (oder auch nicht). Wahrscheinlich dominiert bei so vielen ein verflixt komische Gefühl im Magen, irgendwo zwischen Erleichterung und Ernüchterung. Haarscharf sind wir gestern an eine der größten Blamagen der deutschen Turniergeschichte vorbeigeschrammt. Erst in der Verlängerung konnten wir die Algerier besiegen, und das nach dem definitiv schwächsten Auftritt unserer Elf in Brasilien.

All die Spielfreude – verpufft.
All die Euphorie – verschwunden.
Und all die Weltmeister-Träume im ganzen Schland – arg gedämpft.

Es ist wahrlich keine Zeit für Optimisten.

Na und?

Meiner Zuversicht konnte dieser alles andere als souverände Viertelfinaleinzug nichts anhaben. Ich bin fast noch ein bisschen optimistischer. Verrückt? Bisschen.

Ein früher Wachrüttler: Nach einem Konter der Algerier muss Manuel Neuer in der...
Weltklasse Harakiri: Manuel Neuer
Ja, die deutsche Mannschaft hat sich gestern in der ersten Halbzeit ganz großen Dreck zusammengespielt. Dass es nicht schon früh 1-0 für Algerien stand, haben wir unserem neuen Vorzeigelibero Manuel Neuer zu verdanken. Die Abwehr war unsicher, und vorne ging gegen starke Algerier mal so überhaupt nix.
ABER Deutschland hat sich ins Spiel hineingebissen. Die Unsicherheiten wurden weniger, wenn auch freilich nicht vollständig fehlerlos verteidigt wurde, und ab der zweiten Hälfte lief die Maschine doch. Wenn man der deutschen Mannschaften von da an noch einen ensthaften Vorwurf machen kann, dann ist es die mangelnde Chancenverwertung. Mehr nicht. Wichtig ist, dass man es dann immer weiter versucht, und das hat die Mannschaft getan. Das 1-0 in der 92. Minute war inzwischen verdient. Das ist ein Fakt. Genauso war es erlösend und immens wichtig. Und so gewinnt man dann auch solche unglaublich komplizierten Spiele, wo man einen klassischen Fehlstart hinlegt und erst über den Kampf ins Spiel findet.

Schön ist das Ganze nicht.. Kein 4-0 gegen Portugal und Argentinien, kein 4-1 gegen England. 
Es ist kein Sommermärchen-Fußball mehr. Und das ist gut!

Zuletzt ging es immer nur ums Schönspielen, um die Kunst, um die Ästethik. Ich habe das Gefühl, in der Mannschaft hat ein Umdenken stattgefunden. Löw spricht inzwischen davon, dass »das Ergebnis wichtiger ist, als wie es zustande gekommen ist« - richtig! Die Mannschaft will Weltmeister werden, wirklich, und sie weiß, dass das ganz selten einwandfrei läuft. Regelrecht beeindruckt hat mich Per Mertesacker nach dem Spiel im Interview. Angesprochen auf die spielerischen Schwächen sagt er u.a. »Was wollen sie von mir?Wollen Sie eine erfolgreiche WM oder sollen wir wieder ausscheiden und haben schön gespielt?«

So oder so. Die Deutschen haben was zu meckern. Aber fragt euch doch alle mal selbst: Was wollt ihr? Ich will, dass die Mannschaft den Titel holt. Egal wie, wirklich, es ist scheißegal. Und wenn auf diesen Weg eine Verlängerung gegen Algerien, zwei Eigentore der Franzosen, ein Elfmeterschießen gegen Brasilien und ein abgefälschtes Freistoßtor im Finale gegen die Holländer liegt, dann soll es so sein. Dann ist es vielleicht glücklich, aber verdient haben wir es uns dann halt bei den vergangenen Turnieren.

Dazu muss aber etwas passieren. Das Glück muss man sich auch beim Scheißespielen irgendwie erzwingen. Gegen Algerien hat eine gute Halbzeit und eine solide Verlängerung gereicht – gegen Frankreich wird es so nichts. Die Abwehr muss wieder sicher stehen, und vorne muss von Anfang an Dampf gemacht werden.

Löw hat Fehler gemacht, die er nicht wiederholen darf. Zum Beispiel: Shkodran Mustafi auf rechts zu stellen. Nicht falsch verstehen, ich halte ihn für ein großes Talent, dass uns in Zukunft noch helfen wird. Doch dieses Startelf-Debüt in einem WM-Achtelfinale, noch dazu auf eine ihm fremde Position gegen stark konternde Algerier, ging gründlich daneben. Er war aber zumindest nicht schwächer als der ganze Rest der deutschen Hintermannschaft. Zu allem Überfluss verletzte er sich dann noch am Oberschenkel – WM-Aus. Für ihn tut's mir wirklich Leid, aber im Hier und Jetzt ist es wohl tatsächlich besser so.

Für den Einwechselspieler war es das erste Tor bei dieser WM.
Andre Schürrle: Warum nicht in der Startelf?
In vorderster Front waren Mario Götze und Mesut Özil gegen robuste Nordafrikaner Fehlbesetzungen. … Grade am Ersteren lief das Spiel komplett vorbei. Ja, womöglich würde das gegen die Franzosen, die jetzt nicht unbedingt für's Hintenreinstellen bekannt sind, deutlich besser laufen. Aber warum probiert Löw es nicht mit Siegtor-Schütze Schürrle von Anfang an? Oder Lukas Podolski, der ja dann wieder fit ist … oder vielleicht sogar mit beiden?

Und dann gibt’s ja noch diese elende Diskussion um Philipp Lahm und die 6er-Position. Es wäre tatsächlich so viel einfacher, wenn man ihn auf seine klassische Position in der rechten Verteidigung postieren würde, und Khedira UND Schweinsteiger neben Kroos als DM auflaufen lässt. Exakt so, wie es gegen Algerien nach der Mustafi-Verletzung auch geschah. Klingt ja auch ganz in Ordnung, nur: Sind beide fit genug?
Löw MUSS jetzt beweisen, dass er es drauf hat. MUSS auch mal über seinen Schatten springen, und eingestehen, dass das doof war.

Dann hat die Mannschaft wirklich alle Chancen. Sie hat die Hölle von Porto Alegre überlebt, jetzt kann uns nichts mehr schocken. Also: Beruhigt euch alle mal. Ich glaub weiterhin an unsere Jungs und den Weltmeistertitel, so lange bis der letzte deutsche Pass in Brasilien gespielt wird.

Und damit bin ich einer der wenigen, die nach dem Achtelfinale noch Hoffnungen haben.
Es ist wirklich keine Zeit für Optmisten.

Gruppenfazit / Achtelfinal-Ausblick

Sambamärchen. Ein kurzer Eindruck von der Gruppenphase und ein Ausblick auf das Achtelfinale.

136 Treffer in 48 Spielen, Königs-Joker, Fünferketten, sterbende Favoriten und elende Hitze – Brasilien 2014 ist ein phänomenales, in wirklich allen Belangen heißes Turnier. Vor allem aber ist es ein Turnier der Überraschungen. Meine achsotolle Vorrunden-Prognose war, jetzt wo wir das Achtelfinale-Feld kennen, ein absoluter Fail. Nicht, weil ich keine Ahnung vom Fußball habe. Es ist viel mehr so, dass dieses Wissen meist absolut nix bringt, weil man den Verlauf eines solchen Turniers nur wirklich selten vorhersehen kann.
Ich hab nicht erwartet, dass der Weltmeister schon jetzt wieder daheim sein würde, oder dass Italien erneut in der Vorrunde scheitert. Ich hab auch nicht geahnt, dass Costa Rica, Griechenland und Algerien in die nächste Runde kommen würden, Diese drei Teams zählte ich vorher zu den – und ich zitiere - »Mannschaften, die sich über jedes Tor und jeden Punkt freuen können. Sind sowas wie die Sparringspartner und ein Achtelfinal-Einzug wäre ein mittleres Fußballwunder.« - kein Kommentar.

So hat sich nach der Gruppenphase ein buntes Teilnehmerfeld zusammengefunden: 5 Südamerikaner, 6 Europäer, 2 Afrikaner, 3 Nord- und Mittelamerikaner. Einzig der asiastische Kontinent ging dieses Jahr etwas unter, und belegte gleich vier Mal den letzten Platz.

Werfen wir doch mal einen Blick auf die nächsten Spiele:

Brasilien gegen Chile

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenDies ist vermutlich das Knallerspiel schlechthin: Der Gastgeber trifft auf einen bissigen, läuferisch unglaublich starken Gegner. Während die Brasilianer in der Vorrunde nur selten, und wenn dann lediglich in Person des Superstars Neymar überzeugen konnten, gelten die Chilenen spätestens seit ihrem grandiosen Tritt in den spanischen Weltmeisterarsch als Mitfavorit auf den Titel. Die Selecao hat eine Menge Druck auf den Schultern und steht vor eine großen Hürde. Es ist gar nicht mal so unwahrscheinlich, dass sich der Gastgeber schon heute von der WM verabschiedet, auch wenn sie wohl leicht favorisiert sind.

Kolumbien gegen Uruguay

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenDas zweite rein südamerikanische Achtelfinale steigt im ehrwürdigen Maracana. Kolumbien spielt bisher eine ganz starke WM, mit einer klasse Offensive (und das ohne ihren Superstar Falcao!), viel Leidenschaft und den stilvollsten Tanzeinlagen. Uruguay konnte sich nach schwachen Turnier-Beginn noch steigern, gewann gegen Italien und England jeweils knapp, aber nicht unverdient. Doch sie haben ein ganz großes Handicap: Ihr Star Luis Suarez ist nach seiner Beißattacke völlig zurecht für neun Spiele und vier Monate gesperrt worden, also auf jeden Fall für den Rest der WM. Seine Mitspieler werden mit einer gehörigen Wut im Bauch antreten. Wenn sie es schaffen, diese Wut in positive Kraft umzuwandeln, und nicht in neuerliche Heißspornitäten, dann steht uns ein recht ausgeglichenes Spiel bevor. Meine Sympathien liegen aber zu 100% bei den Kolumbianern …

Niederlande gegen Mexiko

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenNeben dem Aufeinandertreffen von Brasilien und Chile ist dies hier wohl das zweite Topspiel in der Runde der letzten 16. Für viele gelten die Holländer als Topfavorit auf den Titel, auch wenn dem 5:1 gegen Spanien zwei eher weniger überzeugende Auftritte folgten. Am Ende stehen trotzdem 9 Punkte auf der Habenseite. Wenn Arjen Robben und Robin van Persie an ihre bisherigen Leistungen anknüpfen können, dann sollte es für einen Sieg reichen. Ob ihnen das aber gegen die kompakten Mexikaner gelingen wird? Diese konnten den Brasilianern nämlich ein Unentschieden abtrotzen und haben auch sonst eine verdammt gute Vorrunde hingelegt. Am Ende werden Kleinigkeiten entscheiden. Ich hoffe auf Oranje.

Costa Rica gegen Griechenland

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenJa, was soll man denn nun tippen, wenn man weder dem einen, noch dem anderen Team überhaupt den Achtelfinal-Einzug zugetraut hat? In Recife treffen zwei der größten Überraschungen aufeinander, um – man mag es kaum glauben – einen Viertelfinalisten zu ermitteln. Costa Rica spielt bisher eine absolute Sahne-WM, die für ungeheuere Begeisterung im mittelamerikanischen Land gesorgt hat. Die Todesgruppe hat man als Erster überstanden und Spieler wie Joel Campbell oder Bryan Ruiz werden sich ins Blickfeld großer Vereine gerückt haben. Die Griechen sind ganz klassisch eher schwerfällig gestartet und haben erst in der buchstäblich letzten Sekunde das Weiterkommen gesichert. Es ist gut möglich, dass die costaricanische Partie weitergeht, doch sagen wir's mal so: Wenn eine Mannschaft die Rolle des Spielverderbers in Perfektion beherrscht, dann ist es Griechenland …

Frankreich gegen Nigeria

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenNatürlich ist Frankreich vom Namen her der Favorit dieses Matches, doch das ist vielleicht etwas zu einfach gedacht. Die Ecquipe Tricolore startete zwar sehr gut ins Turnier, 3-0 gegen Honduras und dann 5-2 gegen die Alpennachbarn aus der Schweiz. Doch im letzten Spiel gegen Ecuador gab es dann ein ideenloses, uninspiriertes 0-0. Welches Bild werden die Franzosen gegen die Nigerianer abgeben? Die Super Eagles konnten sich in der Vorrunde stets steigern, man besiegte Bosnien und ärgerte den haushohen Favoriten Argentinien beim 2-3 gewaltig. Man darf gespannt sein! Ich persönlich würde mir ein Viertelfinale Frankreich gegen Deutschland wünschen … das hat irgendwie was … den Hauch eines echten Klassikers.

Deutschland gegen Algerien

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenWie schon so oft, klingt der Name unseres Gegners im ersten Moment leichter als er tatsächlich ist. Mit großer Leidenschaft und Spielfreude sind die Nordafrikaner durch die Gruppe H marschiert. Zudem sind sie eines der wenigen Teams auf dieser Welt, gegen die unsere Nationalelf eine negative Bilanz hat: Zwei Spiele, zwei Niederlage. Eine in einem unwichtigen Freundschaftsspiel, die andere bei der WM 1982. Die Geschichten vom »Nichtangriffspakt von Gijon« kennt inzwischen wohl der Großteil der Lesenden, wenn nicht, in den Medien wird das zurzeit genug aufgebauscht. Die Algerier streben also nach Rache. Und wir? Wir wollen Weltmeister werden, und da darf uns auch so eine unbequeme Mannschaft wie die Algerier nicht aufhalten. Vorsicht ist geboten, aber alles andere als ein deutscher Sieg (am besten nach regulärer Spielzeit) wäre eine herbe Enttäuschung.

Argentinien gegen Schweiz

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenEs ist kein Duell auf Augenhöhe, aber eine Überraschung ist auf jeden Fall drin. Die Argentinier konnten bisher in noch keinem Spiel so richtig überzeugen, obwohl die Gruppengegner alles andere als Hochkaräter waren. Die Eidgenossen haben da eine ganz andere Vorrunde hinter sich, zwischen Himmel und Hölle war alles dabei. Es begann mit einem schwachen Spiel gegen Ecuador, das man glücklich in letzter Minute gewann. Dann folgte die Talfahrt: Debakel gegen Frankreich, erneut lag ein frühes Aus im Bereich des Möglichen. Verhindert wurde das durch ein überzeugendes 3-0 gegen Honduars … wie soll man denn nun unsere südlichen Nachbarn einschätzen? Schwer zu sagen. Wahrscheinlich wird Lionel Messi am Ende wieder mal den Unterschied ausmachen und Argentinien zu einem ungefährdeten Sieg schießen. Ich drücke aber ganz fest die Daumen, das genau das nicht passiert …

Belgien gegen USA

Bild in Originalgröße anzeigenBild in Originalgröße anzeigenKomplettiert wird das Tableau durch zwei Mannschaften, deren Zufriedenheit unterschiedlicher nicht ausfallen könnte. Der Geheimfavorit Belgien mogelte sich zum klaren Gruppensieger, ohne auch nur einmal zu zeigen, warum sie so viele Experten als Titelaspiranten genannt haben. Vielleicht ist es aber grade diese Fähigkeit, mäßig zu spielen und trotzdem das gewünschte Ergebnis zu erzielen, wer weiß … Mit den Staaten steht ihnen nun ein echter Härtetest bevor - vorausgesetzt diese können an die klasse Leistungen gegen Ghana und Portugal anknüpfen. Jürgen Klinsmann hat in den USA eine Aufbruchsstimmung erzeugt, zumindest was den so ungeliebten Soccer angeht. Gut möglich, dass dieses kleine Sommermärchen noch um ein weiteres Spiel verlängert wird. Ich sage: Es wird ausgeglichen, doch das bessere Ende haben die Amerikaner.


Mal schauen!
Ich melde mich am Montag wieder. Vielleicht. Vielleicht aber auch erst Mittwoch. Ich schreibe in dieser Woche nämlich die ersten beiden Prüfungen. So heißt es beispielsweise: Montag, 22 Uhr – Deutschland – Algerien; Dienstag, 11 Uhr – Klausur Neuzeit … aber da muss ich dann wohl durch ;)

WM-Tagebuch #11 – Igor, der Gelaserte

Sambamärchen. Die Finals der Gruppe E, F und H

In diesen Gruppen war am letzten Spieltag noch so viel Dramatik möglich, gleich drei Mal hätte es theoretisch sogar zu einem Losentscheid kommen können. Letztendlich war das alles aber dann noch recht unspektakulär.

Die Gruppe E endete zum Beispiel mit der Tabelle, die man im Vornherein erwarten konnte – und stellt sich damit voll gegen den Trend dieser WM, die so voller Überraschungen steckt. Bezeichnenderweise ist es die einzige Gruppe, in der zwei Europäer weiterkommen und in der Ecuador hier als einziger südamerikanische Vertreter bereits nach der Vorrunde ausscheidet. Das war schlicht zu harmlos. Die Schweiz konnte sich hingegen nach dem 2-5-Debakel gegen Frankreich erstaunlich schnell von jeglicher Versagensangst befreien und zieht nach dem souveränen 3-0 über Honduras dann doch noch verdient ins Achtelfinale ein.

Dort wartet Argentinien, das gegen Nigeria zwar auch sein drittes Spiel gewinnen konnte, aber immer noch nicht wirklich überzeugen möchte. Einzig Lionel Messi brachte etwas Brillianz ins Spiel der Albiceleste. 4 Tore nach 3 Partien – Der Superstar scheint nun auch endlich im Nationaldress seine Leistung abrufen zu können. Nigeria konnte aber erstaunlich gut mithalten und offenbarte beachtliche Schwächen der Südamerikaner. Weil der Iran gegen Bosnien verlor, wurden die Super Eagles verdienter Zweiter.

Blieb also nur noch eine Gruppe übrig, und die war aus deutscher Sicht nicht uninteressant, schließlich qualifizierte sich hier unser Achtelfinal-Gegner. Weil Südkorea trotz Überzahl nicht gegen Belgien gewann, entschied es sich zwischen Russland und Algerien. Die Sbornaja ging zwar früh in Führung, doch machte danach zu wenig für ein zweites Tor. Deshalb kam der Ausgleich der Nordafrikaner, der sie in die nächste Runde befördern sollte, nicht unverdient. Wie er fiel, ist allerdings ein Skandal: Zunächst sah es alles nach einem klaren Torwartfehler von Igor Akinfeev aus, der eine Ecke von Algerien unterlief. Videos und Bilder beweisen aber, dass er genau in diesem Moment von einem Laserpointer aus dem Pubikum anvisiert wurde. Klare Ablenkung, und womöglich war dies die Ursache für die folgende Unkonzentriertheit. Aber was soll's: Nimmt man alle Gruppenspiele zusammen, haben es die Algerier auf jeden Fall verdient.

Damit ist die Gruppenphase dieser Weltmeisterschaft 2014 vorbei. Die Achtelfinal-Partien stehen fest. Morgen geht es schon weiter, zunächst hier im Blog, dann auf den Plätzen. Bis dahin!

In Germany we call it Pausenclown

Sambamärchen. Eindrücke vom dritten Gruppenspiel gegen die USA.

Wer hat in den letzten Tagen denn nicht vom »Nichtangriffspakt von Gijon« gehört? Damals, bei der WM 1982, schoben sich Deutschland und Österreich im entscheidenden Gruppenspiel nach der deutschen Führung die Bälle nur noch zu, weil sie wussten, dass beiden ein 1-0 reichen würde. Leidtragende waren die Algerier, die durch diese Aktion das Achtelfinale verpassten. Das Spiel hat so die Gemüter erregt, dass es zwei Konsequenzen nach sich zog: Kurz darauf wurde die Rückpassregel eingeführt, die dem Torwart verbietet, einen Rückpass des eigenen Mitspielers mit der Hand auszunehmen. Und die letzten Gruppenspiele der großen Turniere werden seitdem stets zur selben Zeit angepfiffen. 

Was das alles mit 2014 zu tun hat? Recht viel sogar.

Denn so sehr es die FIFA versucht, so ganz kann man eine ähnliche Ausgangssituation nicht verhindern. Das zeigte sich nach dem zweiten Spieltag der Gruppe G: Sowohl Deutschland und die USA würden mit einem Unentschieden im direkten Duell am letzten Gruppenspieltag ins Achtelfinale einziehen. Und dann kam ja noch diese kuriose Geschichte hinzu, dass der US-Trainer und unser Bundestrainer sich noch bestens kennen: Jürgen Klinsmann und Jogi Löw waren die Macher des Sommermärchens 2006 – beste Vorraussetzungen also, um sich ganz gemütlich auf ein schnuckeliges Remis zu einigen, um dann gemeinsam das Weiterkommen zu feiern.

Gott sei dank kam es nicht so, es gab gestern keine »Schande von Recife«. Trotzdem sind beide Mannschaften im Achtelfinale, weil im Paralelspiel Portugal gegen Ghana das aus US-Sicht richtige Team gewann. Na, so geht es doch auch. Am Ende konnten sich also alle in den Armen liegen.

Und das nach einem Spiel, das alles andere als perfekte Bedingungen bot. In Recife gab es ein gepflegtes Unwetter, dass die Straßen der Großstadt in kleine Flüsse verwandelte. Teilweise stand es sogar zur Diskussion, das ganze Spiel um eine Stunde nach hinten zu verschieben (was, wie wir ja eben gelernt haben, auch die Anstoßzeit des anderen Gruppenspiels verändert hätte). Letztlich ging's aber pünktlich um 13 Uhr Ortszeit los. Es regnete auch weiterhin wie aus Kübeln und hörte ironischerweise erst genau dann auf, als der Schlusspfiff ertönte.

Perfekter, technisch einwandfreier Fußball war bei diesen Bedingungen kaum möglich. Und da mag man unserer Elf auch verzeihen, dass das letzte Gruppenspiel das mit Abstand langweiligste des bisherigen Turniers wurde. Jogi Löw hatte vor dem Spiel zwei Änderungen vorgenommen, brachte Schweinsteiger für Khedira, weil er sich gegen Ghana empfehlen konne, und Podolski für Götze. weil er gegen körperlich robuste Amis die bessere Alternative darstellte. Überzeugen konnte aber nur der Erstere: Schweini war sofort der Chef im Mittelfeld, brachte Stabilität ins Spiel und zeigte einen couragierten Auftritt. Poldi hatte hingegen einen eher durchwachsenen Tag, und konnte sich nicht grade auszeichnen. Erst der für ihn in Halbzeit zwei eingewechselte Klose belebte das deutsche Angiffsspiel spürbar. Das einzige Tor des Tages erzielte dann einmal mehr Thomas Müller. Manche mögen es Abstauber nennen, weil ihm der Ball glücklich vor die Füße fiel. Doch den Ball muss man auch erstmal so von der Strafraumgrenze ins Eck zirkeln. Cool gemacht! Viele Spieler hätten da nur kopflos in die Menschenmenge gebolzt …

Damit hat der Münchner nach 9 WM-Spielen also 9 WM-Tore auf seinem Konto und damit den Argentinier Diego Maradona überholt. Ich erwähne das deshalb so gerne, weil diese Aktion hier dadurch immer mehr zum Klassiker wird. Der Müller ist schon ein echtes Phänomen. Weder sein Auftreten, noch sein Körperbau, nicht mal seine Spielweise erinnert an einen herkömmlichen Weltstar – und doch ist er auf einem guten Weg, auf lange Sicht bester WM-Torschütze ever zu werden – außer der Miro legt in den nächsten Spielen noch ein paar Treffer drauf, dann wird es etwas schwerer ;) Was sein Geheimnis ist? Mats Hummels beschrieb den Torschützen nach dem Spiel, von amerikanischen Journalisten befragt, wohl am besten: »In Germany we call it Pausenclown«

Nun geht es am nächsten Montag weiter mit dem deutschen Traum vom Titel. Algerien wird unser Gegner sein, doch das klingt im ersten Moment leichter als es tatsächlich ist. Mit großer Leidenschaft und Spielfreude sind die Nordafrikaner durch die Gruppe H marschiert. Zudem sind sie eines der wenigen Teams auf dieser Welt, gegen die unsere Nationalelf eine negative Bilanz hat: Zwei Spiele, zwei Niederlage. Eine in einem unwichtigen Freundschaftsspiel, die andere bei der WM 1982 – womit wir wieder beim »Nichtangriffspakt von Gijon« wären. Die Algerier streben nach Rache. So wird uns dieses Kapitel der Vergangenheit auch noch weiterhin ziemlich beschäftigen ...

WM-Tagebuch #10 – Vorsicht, bissig!

Sambamärchen. Die Finals der Gruppen C und D.

Dass das entscheidende Duell zwischen Italien und Uruguay kein besonders schönes werden würde, konnte man irgendwie erwarten. Beide Teams sind bekannt für ihre nicht immer ganz saubere Spielweise und den Hang zu diversen kleineren Nickligkeiten. So sah das Geschehen auf dem Rasen dann auch größtenteils aus: Immer wieder Fouls und fiese Tritte, wohlgemerkt von beiden Seiten. Nein, ich wusste schon früh, warum ich eigentlich keinem das Achtelfinale gönnen würde. England war aber nun mal leider schon raus, so dass das Vorrundenaus dummerweise nur einen ereilen konnte. Was dann aber in der zweiten Halbzeit geschah, machte mich so fuchsteufelswild, dass ich völlig unbemerkt zur Azzuri übergelaufen bin.

Das fing mit der roten Karte für Marchisio an, die einfach nur übertrieben war: Im Zweikampf um den Ball traf der Italiener seinen Gegenspieler am Schienbein. Schmerzhaft, keine Frage, und natürlich war es ein hartes Einsteigen, das eine Karte nach sich ziehen muss. Die mit der gelben Farbe wäre hier aber wohl eher angebracht gewesen. So dezimierte er eine italienische Mannschaft, die zwar nicht wirklich drauf und dran war ein Tor zu schießen, das Spiel aber weitesgehend offen halten konnte. Der Platzverweis hat das Spiel dann entscheidend in eine bestimmte Richtung gelenkt. Das war bitter für Italien, aber mit solchen Entscheidungen muss man dann leben. Uruguay wurde besser, hatte einige Chancen, doch das Tor fiel nicht. Erst kurz vor Schluss drückte Diego Godin eine Ecke mit dem Rücken ins Netz. 1-0 .. es war der Siegtreffer. So viel zum Sportlichen.

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Der Biss von Suarez
Was man menschlich wirklich nicht nachvollziehen kann, sind die Geschehnisse nur wenige Minuten zuvor: In einem für diese beide Teams relativ harmlosen Zweikampf abseits des Balles geraten Luis Suarez und Georgino Chiellini aneinander. Fallen hin, der Italiener hält sich die Schulter, der Uruguayer die Zähne. Passiert, denkt man im ersten Moment, und bekommt in der Wiederholung dann die bisher wohl mieseste Attacke der WM zu sehen: Suarez beißt seinem Gegenspieler. Ja, er beißt. Er schlägt ihn nicht, er tritt ihn nicht, er gibt ihm keinen Kopfstoß – er beißt. Was für eine hässliche Szene! Und dann kommt er auch noch ungeschoren davon, weil es der Schiedsrichter nicht gesehen hat, der sich auch nicht zu einem Feldverweis durchringen kann, als Chiellini ihm die deutlich sichtbaren Bissspuren an der Schulter zeigt. Der Wahnsinn! Bezeichnend, wie Suarez' Mitspieler dann noch mit größter Leidenschaft zu verhindern versuchen, den offensichtlichen Beweis vom Schiri fernzuhalten. Die Nationalelf von Uruguay hat jetzt zumindest bei mir sämtliche Sympathiewerte verspielt: Bereits im Spiel gegen Costa Rica fiel man mit Frustfouls auf, doch was sie dann nach dem Schlusspfiff zur Beißattacke zu sagen hatten, lässt einen nur ratlos zurück: »Es geht hier um die WM, nicht um die Moral«, sagt der Trainer. Kapitän Lugano behauptet sogar, die Spuren auf Chiellinis Schulter stammen gar nicht von Luis Suarez. Der Übeltäter selbst spricht davon, dass er beim Zweikampf von Chiellini am Auge getroffen wurde (warum hält er dann aber nach dem Vorfall nur seine Zähne?), und solche Reaktionen wie seine nun mal im Fußball vorkommen. Ach, tun sie das? Ich kenne bisher nur einen Spieler, der schon mehrmals wegen solch miesen Aktionen aufgefallen ist, und das ist – wer hätte das nur gedacht? - zufällig Luis Suarez selbst. Damals bekam er jeweils eine Sperre: Einmal 6, einmal 10 Spiele – wenn die WM für diesen Kerl damit nicht beendet ist, weiß ich auch nicht weiter. Mehrere Monate wären gerecht, ganz ehrlich.

Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das erneute italienische Vorrundenaus nicht unverdient ist. Wer sich hinten einmauert und nur ganz sporadisch mal was für den eigenen Angriff tut, muss so ein unglückliches Gegentor akzeptieren. Im Achtelfinale geht es für Uruguay jetzt gegen Kolumbien – ratet mal, welchem Team ich die Daumendrücken werde …

Samaras nach seinem Last-Minute-Treffer
Das zweite dramatische Gruppenendspiel, dieses mal in der Gruppe C, stieg in Fortaleza zwischen der Elfenbeinküste und Griechenland. Den Afrikanern hätte ich dieses Weiterkommen sehr gegönnt. Ein Unentschieden hätte gereicht, um nach 2006 und 2010, wo man an sehr schweren Gruppengegnern verzweifelte, nun endlich diesen Erfolg zu feiern. Die Griechen, vor Beginn der WM von vielen wohl als schwächstes Team dieser Gruppe eingeschätzt, waren gestern allerdings sehr stark, und hatten die größten Gelegenheiten des Spiels. Man könnte fast sagen, so stürmisch hätte ich diese Mannschaft noch nie gesehen. Die Führung war also verdient, doch die Ivorer machten in Halbzeit zwei den schönen Ausgleich. Bis zur 90. Minute sah es also so aus, als könnte sich die Elfenbeinküste weiterzittern – dann nahm das Drama seinen Lauf: Griechenlands Samaras wird beim Schussversuch getreten – Elfmeter. Vollkommen richtig gesehen, so leid mir das auch tut. Der Gefoulte schoss selbst, verwandelte und damit steht der Europameister von 2004 in der nächsten Runde. Mit einem Last-Minute-Sieg, der nicht verrückter hätte sein können. Die Elfenbeinküste fliegt erneut nach der Gruppenphase heim und kann sich die Achtelfinals im Fernsehen anschauen. Unter anderem wird es da Costa Rica gegen Griechenland geben. Zwei Teams, die ich vor ein paar Wochen in die Kategorie »Achtelfinale = Riesensensation« gesteckt habe. Wir man sich doch täuschen kann …

Sorry, dass in der ganzen Betrachtung hier das 0-0 von England und eben jenen Costaricanern, sowie das 4-1 von Kolumbien über Japan nicht so zur Geltung kommen, doch ihr seht ja selbst, wie krass es auf den anderen Plätzen zuging ;)


Heute: Wer folgt Argentinien und Frankreich ins Achtelfinale? In der einen Gruppe liefern sich Iran und Nigera ein Fernduell, in der anderen Schweiz und Ecuador. Spannung pur!

WM-Tagebuch #9 – Der, der keinen Druck verspürt.

Sambamärchen. Die Finals in den Gruppen A und B

Er ist einfach ein Phänomen: Neymar lässt sich von den tonnenschweren Erwartungen, die auf seinen Schultern liegen, einfach nicht erdrücken. Sowas wie Druck scheint er nicht zu kennen. So erfüllt er brav und völlig ungeniert all die Hoffnungen, die ein ganzes Volk in seinen Wunderfuß setzt. Schon wieder schnürte der Star im brasilianischen Team einen Doppelpack und übernahm mit seinen Toren 3 und 4 die Führung in der WM-Torschützenliste. Man mag sich verwundert die Augen reiben ob dieser gigantischen Unbekümmertheit.

Nemar ist nicht einer von vielen im Dress der Selecao – die Selecao ist Neymar. Ob das gut ist, ist eine andere Frage.

So bleiben auch nach dem 4-1 gegen Kamerun noch einige Zweifel hinsichtlich der wahren Stärke dieser Mannschaft. Neymar brillierte, zauberte und schoss seine zwei Tore in den wichtigsten Momenten: Das 1-0 ganz früh und die erneute Führung nach dem Ausgleich. Man mag sich nicht ausmalen, wo die Brasilianer ohne ihr Wunderkind ständen. Die so hochgelobte Abwehr um David Luiz zeigte auch dieses mal – im Duell mit dem schwächsten Vorrundengegner – wieder ihre Anfälligkeit. Vorne schleppt und stolpert sich Fred durch die gegnerischen Abwehrreihen, ist so etwas wie der brasilianische Mario Gomez. Auch Hulk oder Oscar konnten ihr Potential noch nicht wirklich zeigen. Klar, am Ende steht ein eindeutiger, teils richtig gute herausgespielter Sieg gegen die Afrikaner, doch wenn das schon das Ende der Fahnenstange ist, zumindest was die Leistungsfähigkeit angeht, wird Brasilien nicht weit kommen. Neymar alleine reicht nicht.
Schon gar nicht im Achtelfinale gegen bisher so begeisternde Chilenen.

Okay, sie haben gestern ihr letztes Gruppenspiel gegen die Niederlande verloren, doch auch den wahrscheinlichen Topfavoriten hatten sie weitesgehend im Griff. Am entschieden ein ausgeglichenes Spiel wieder mal zwei Joker. Die Holländer können also das Duell gegen den Gastgeber vermeiden, doch wirklich leichter wird es in der nächsten Runde dadurch nicht. Nach einem überzeugenden 3-1 über Kroatien wartet mit Mexiko eine bissige und leidenschaftliche Mannschaft, die einen Fluch besiegen will: Fünf Mal in Folge erreichte man das Achtelfinale – fünf mal scheiterte man. Holland muss gewarnt sein. Und außerdem haben die Mittelamerikaner den coolsten Trainer des Turniers, weil er sich beim Jubeln auch gerne mal in die Traube hineinwirft …  

WM-Tagebuch #8 - Und sie fliegen ...

Sambamärchen.  Man oh man! Als ob's nicht schon blöd genug ist, dass ich mit dem Scheiben jetzt eher nicht so hinterhergekommen bin, macht die WM 2014 in Brasilien fußballerisch genau da weiter, wo ich letztmals aufgehört habe: Bunte Spiele, bunte Ergebnisse, bunte Geschichten. Im Schnelldurchlauf jetzt die letzten Spieles des zweiten WM-Wochenendes von Freitag bis Sonntag:

Was war krass?

Die wohl größte Sensation des Turniers ist bereits nach zwei Spieltagen pefekt: Costa Rica hat das Achtelfinale sicher. Ja nee, man kann das Ganze natürliche auf das riesige Losglück der Mittelamerikaner schieben, nur drei ehemalige Weltmeister als Gegner bekommen zu haben. Es war doch offensichtlich, dass DIESES Team bei DIESER WM in DIESER Gruppe weiterommen würde, oder nicht? Da gelingt denen ganz im Vorbeigehen ein Sieg gegen die große Fußball-Nation Italien, den wir Deutsche in der bisherigen Fußballgeschichte auf Turnierebene noch nicht erleben durften. Wahnsinn, und wenn man bedenkt, dass im Achtelfinale auch nicht grade die Schwergewichte drohen, kann man Costa Rica durchaus das Viertelfinale zutrauen. Und allein diesen Satz zu schreiben, wäre mir vor knapp zwei Wochen nicht mal ansatzweise in den Sinn gekommen …

Spektakulär war auch Frankreichs 5-2 gegen die Schweiz. Die Ecquipe Tricolore schwingt sich damit langsam echt zu einem Turnierfavoriten auf, und auch das hätte niemand unbedingt erwarten können. Karim Benzema scheint in der Form seines Lebens zu sein, und plötzlich redet keiner mehr von Franck Ribery. Für die, die es nicht wissen: Der Bayern-Star fiel verletzt für das Turnier aus. Doch so richtig scheinen sie ihn auch nicht zu vermissen. Das ist erstaunlich, und ich würde mich wirklich freuen, wenn die Franzosen es bis ins Viertelfinale schaffen – dort könnte man dann auf Deutschland treffen … hmmm, das riecht nach Klassiker.

Algerien fegte Südkorea mit 4-2 vom Platz und hat damit durchaus Potential zur nächsten Turnier-Überraschung zu werden. Ein Achtelfinal-Einzug ist jetzt gar nicht mal so unwahrscheinlich, dort sollte dann aber Schluss sein, denn auch hier wartet vorraussichtlich unsere Elf.

Das 2-2 der US-Amerikaner gegen Portugal im heißen Manaus konnte halbwegs an das Deutschland-Ghana-Spiel der gleichen Gruppe anknüpfen. Der Weltfußballer Christiano Ronaldo steht mit seiner Nationalelf damit kurz vorm Aus. Dass es gestern noch nicht so weit war, lag an den Ausgleichstreffer in der 95. (!) Spielminute, der einen durchaus verdienten Sieg der Amis zerstörte.

Was war eher nicht so?

Also manche der folgenden Spiele hätten bei einem der vorvergangenen Turniere zu den Highlights gehört, nicht aber bei dieser WM.
Argentiniens Last-Minute-Sieg gegen Iraner etwa, nachdem man ein ganzes Spiel lang nichts auf die Beine brachte, ja, fast noch froh sein musste, nicht in Rückstand geraten zu sein. Am Ende war es dann den Unterschied namens Lionel Messi. Nigeria schmeißt Bosnien mit 1-0 aus dem Turnier und hat nun selbst beste Chancen auf das Achtelfinale. Dort steht außerdem bereits Belgien, die gestern ein sehr schwaches Spiel mit einem glücklichen Sieg beendeten. Ecuador besiegte Honduras 2-1 und könnte die Schweiz noch abfangen.

Überhaupt hat sich das Teilnehmerfeld schon etwas aufgeteilt:
Raus sind bereits die Teams von Kamerun, Spanien, Australien, England, Honduras und Bosnien.
Im Achtelfinale befinden sich dagegen schon Holland, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Argentinien und Belgien, sowie mehr als wahrscheinlich auch Frankreich.

Der Rest entscheidet sich ab heute, denn in den nächsten vier Tagen erleben jeweils zwei Gruppen ihr Finale. Heute fangen die Gastgeber an. Alles andere als ein Gruppensieg wäre eine Enttäuschung. Kroatien und Mexiko kämpfen um das Weiterkommen, Chile und Holland um den ersten Platz ihrer Gruppe.