In Germany we call it Pausenclown

Sambamärchen. Eindrücke vom dritten Gruppenspiel gegen die USA.

Wer hat in den letzten Tagen denn nicht vom »Nichtangriffspakt von Gijon« gehört? Damals, bei der WM 1982, schoben sich Deutschland und Österreich im entscheidenden Gruppenspiel nach der deutschen Führung die Bälle nur noch zu, weil sie wussten, dass beiden ein 1-0 reichen würde. Leidtragende waren die Algerier, die durch diese Aktion das Achtelfinale verpassten. Das Spiel hat so die Gemüter erregt, dass es zwei Konsequenzen nach sich zog: Kurz darauf wurde die Rückpassregel eingeführt, die dem Torwart verbietet, einen Rückpass des eigenen Mitspielers mit der Hand auszunehmen. Und die letzten Gruppenspiele der großen Turniere werden seitdem stets zur selben Zeit angepfiffen. 

Was das alles mit 2014 zu tun hat? Recht viel sogar.

Denn so sehr es die FIFA versucht, so ganz kann man eine ähnliche Ausgangssituation nicht verhindern. Das zeigte sich nach dem zweiten Spieltag der Gruppe G: Sowohl Deutschland und die USA würden mit einem Unentschieden im direkten Duell am letzten Gruppenspieltag ins Achtelfinale einziehen. Und dann kam ja noch diese kuriose Geschichte hinzu, dass der US-Trainer und unser Bundestrainer sich noch bestens kennen: Jürgen Klinsmann und Jogi Löw waren die Macher des Sommermärchens 2006 – beste Vorraussetzungen also, um sich ganz gemütlich auf ein schnuckeliges Remis zu einigen, um dann gemeinsam das Weiterkommen zu feiern.

Gott sei dank kam es nicht so, es gab gestern keine »Schande von Recife«. Trotzdem sind beide Mannschaften im Achtelfinale, weil im Paralelspiel Portugal gegen Ghana das aus US-Sicht richtige Team gewann. Na, so geht es doch auch. Am Ende konnten sich also alle in den Armen liegen.

Und das nach einem Spiel, das alles andere als perfekte Bedingungen bot. In Recife gab es ein gepflegtes Unwetter, dass die Straßen der Großstadt in kleine Flüsse verwandelte. Teilweise stand es sogar zur Diskussion, das ganze Spiel um eine Stunde nach hinten zu verschieben (was, wie wir ja eben gelernt haben, auch die Anstoßzeit des anderen Gruppenspiels verändert hätte). Letztlich ging's aber pünktlich um 13 Uhr Ortszeit los. Es regnete auch weiterhin wie aus Kübeln und hörte ironischerweise erst genau dann auf, als der Schlusspfiff ertönte.

Perfekter, technisch einwandfreier Fußball war bei diesen Bedingungen kaum möglich. Und da mag man unserer Elf auch verzeihen, dass das letzte Gruppenspiel das mit Abstand langweiligste des bisherigen Turniers wurde. Jogi Löw hatte vor dem Spiel zwei Änderungen vorgenommen, brachte Schweinsteiger für Khedira, weil er sich gegen Ghana empfehlen konne, und Podolski für Götze. weil er gegen körperlich robuste Amis die bessere Alternative darstellte. Überzeugen konnte aber nur der Erstere: Schweini war sofort der Chef im Mittelfeld, brachte Stabilität ins Spiel und zeigte einen couragierten Auftritt. Poldi hatte hingegen einen eher durchwachsenen Tag, und konnte sich nicht grade auszeichnen. Erst der für ihn in Halbzeit zwei eingewechselte Klose belebte das deutsche Angiffsspiel spürbar. Das einzige Tor des Tages erzielte dann einmal mehr Thomas Müller. Manche mögen es Abstauber nennen, weil ihm der Ball glücklich vor die Füße fiel. Doch den Ball muss man auch erstmal so von der Strafraumgrenze ins Eck zirkeln. Cool gemacht! Viele Spieler hätten da nur kopflos in die Menschenmenge gebolzt …

Damit hat der Münchner nach 9 WM-Spielen also 9 WM-Tore auf seinem Konto und damit den Argentinier Diego Maradona überholt. Ich erwähne das deshalb so gerne, weil diese Aktion hier dadurch immer mehr zum Klassiker wird. Der Müller ist schon ein echtes Phänomen. Weder sein Auftreten, noch sein Körperbau, nicht mal seine Spielweise erinnert an einen herkömmlichen Weltstar – und doch ist er auf einem guten Weg, auf lange Sicht bester WM-Torschütze ever zu werden – außer der Miro legt in den nächsten Spielen noch ein paar Treffer drauf, dann wird es etwas schwerer ;) Was sein Geheimnis ist? Mats Hummels beschrieb den Torschützen nach dem Spiel, von amerikanischen Journalisten befragt, wohl am besten: »In Germany we call it Pausenclown«

Nun geht es am nächsten Montag weiter mit dem deutschen Traum vom Titel. Algerien wird unser Gegner sein, doch das klingt im ersten Moment leichter als es tatsächlich ist. Mit großer Leidenschaft und Spielfreude sind die Nordafrikaner durch die Gruppe H marschiert. Zudem sind sie eines der wenigen Teams auf dieser Welt, gegen die unsere Nationalelf eine negative Bilanz hat: Zwei Spiele, zwei Niederlage. Eine in einem unwichtigen Freundschaftsspiel, die andere bei der WM 1982 – womit wir wieder beim »Nichtangriffspakt von Gijon« wären. Die Algerier streben nach Rache. So wird uns dieses Kapitel der Vergangenheit auch noch weiterhin ziemlich beschäftigen ...