Ich trinke keinen Alkohol mehr. Seit
meinem Geburtstag, also jetzt seit knapp einem halben Jahr, versuche
ich so weit es möglich ist, auf sämtliche Spirituosen zu
verzichten. Das soll jetzt hier keine Tirade gegen die böse, böse
Volksdroge sein, sondern viel mehr eine kleine Selbstreflexion. Vor
allem war (und ist) das nämlich ein Experiment.
Die Vorgeschichte
Alkohol ist in unserer Kultur fest
verankert, und natürlich bin ich auch in meiner Jugendzeit wie
selbstverständlich mit sämtlichen Zeugs in Berührung gekommen. Ich
war schon immer etwas … vorsichtiger. Hab mich nie ins Koma
gesoffen, hatte aber doch die ein oder andere Eskalation. Ich kenne
Leute, die können regelmäßig Unmengen trinken, und es passiert
nix. Ich bin hingegen einer, der nicht allzu viel für 'nen Filmriss,
'ne Nacht über der Kloschüssel und 'nen Brummschädel braucht. Ich
hab's mir dann irgendwann angewöhnt, nach dem Konsum vorm
Einschlafen immer 'nen Flasche Wasser zu trinken, und damit war das
Problem halbwegs beseitigt. Nicht aber auf Dauer - Es gab immer
wieder Phasen, wo ich häufiger auf Partys ging und dementsprechend
öfter getrunken hab. Ich selbst hab für mich dann immer wieder
festgestellt, dass auch das abendliche Wassertrnken nicht mehr
geholfen hat. Besonders unschön ist sowas, wenn das kombiniert mit
Stress im Alltag und leicht depressiven Phasen auftritt, wie bei mir
zu Beginn des Jahres. Es gibt kein beschisseneres Gefühl dieser
Welt, als komplett fix und fertig im Bad zu hängen, und zu denken:
Ich hab mein Leben nicht im Griff. Ihr kennt das. Vielleicht.
Nach meinem Geburtstag Ende Januar
beschloss ich deshalb: Ich brauche mal 'ne Pause. Also nahm ich mir
vor, bis zum Ende der Semesterferien nichts zu trinken. Und das tat
ich dann. Ich nahm zweieinhalb Monate lang keinen Tropfen Alkohol zu
mir. Und das war die vielleicht beste Entscheidung, die ich treffen
konnte.
Die Erkenntnisse
Punkt 1: Ich konnte mich an die
Nüchternheit gewöhnen.
Die Allgegenwärtigkeit des Alkohols
ist wahrscheinlich der Punkt, der jeden erstmal abschrecken wird:
Eine chillige Runde in der Bar mit Freunden – ohne Bier?
Feierngehen und Abtanzen – ganz ohne Shots? Gruselig, ich weiß.
Und es ist nicht so, dass das von ein aufs andere mal klappt.
Natürlich ist es verdammt ungewohnt, und wirkt vielleicht auch etwas
befremdlich, wenn um dich herum alle angeheitert sind. Doch erstens
legt sich das mit der Zeit sowieso, und zweitens ist eine andere
Frage viel wichtiger: Ist es nicht absolut bescheuert, dass man
Substanzen - die einem offensichtlich nicht gut tun - braucht, um
lockerer zu werden? Dieser Fakt hat mich 'ne ganze Weile nicht
losgelassen. Für mich stand fest: Ich will locker sein, ohne was zu
trinken.
Und das geht auch, man braucht nur eine
Weile, um sich einzugrooven, besonders wenn man eher ein
introvertierter Mensch ist, wie ich. Und ganz ehrlich: Die
anfänglichen Hemmungen hatte ich nicht, weil ich nichts getrunken
habe, sondern viel mehr, weil ich mir genau das ständig vor Augen
führte und meinen eigenen Zustand ständig hinterfragte. Alkohol ist
schlicht 'ne Gewöhnungssache. Irgendwann kann es auch eine
Selbstverständlichkeit, nichts zu trinken. Das braucht eine gewisse
Zeit, ich weiß. Und im Grunde hat das ganze nicht sooo viel mit
Lockerheit zu tun, sondern verdammt viel mit dem eigenen
Selbstbewusstsein.
Punkt 2: Ich liebe Kontrolle und bin
gelassener geworden.
Die Regel lautet ja eigentlich: Wenn
man trinkt, ist man selbstbewusster. Falls dem so ist, dann bin ich
wohl eine Ausnahme.
Ich hab für mich festgestellt, dass
ich selbstbewusster bin, wenn ich – und das klingt jetzt bestimmt
voll bescheuert - aus einer gewissen Kontrolliertheit agieren kann.
Ich liebe Kontrolle. Ich mag's einfach, mich voll und ganz im Griff
zu haben, fühle mich sicherer und souveräner. Wohingegen der
Alkohol einerseits natürlich das mit der Kontrolle etwas schwierig
macht, und andererseits - sofern ich mich nicht komplett abschossen
habe – immer auch ein wenig Paranoia verursacht hat. Ich fühlte
mich angreifbarer, hatte Angst – konnte das allerdings wesentlich
besser verstecken.
Ich würde sagen, eines meiner größten
Probleme ist mein Tick, zu viel über alles und jeden nachzudenken.
Das konnte ich im betrunkenen Zustand tatsächlich oft leichter
ausblenden - aber eben auch nicht immer. Und außerdem muss auch die
Frage erlaubt sein: Sollte ich dieses Problem verdammt nochmal nicht
lieber ohne Alkohol lösen?
Während meines Verzichts war ich also
genau dazu gezwungen. Und gleich mal komplett verwirrt: Wie soll das
denn gehen? Ich will kontrolliert sein, um selbstsicherer zu sein,
gleichzeitig aber auch lockerer werden? Natürlich klingt das im
ersten Moment völlig widersprüchlich. Dabei finde ich, dass die
Begriffe „Kontrolliertheit“ und „Lockerheit“ durchaus auch
zusammenpassen. Oder wie definiert ihr „Gelassenheit“? Ich finde,
das trifft es nämlich am meisten: Locker zu sein, den Kopf frei zu
haben – ohne aber allzu extrem aus der Haut zu fahren. Ich habe in
dieser Zeit ganz automatisch eine Gelassenheit entwickelt, die ich so
von mir selbst noch nicht kannte. Auch das hat eine Weile gedauert.
Aber es hat sich gelohnt.
Punkt 3: Ich bin ehrlicher und
direkter geworden.
Noch so 'ne These: Im betrunkenen
Zustand ist man am ehrlichsten. Und allmählich kommen wir zu den
Punkten, die mich wirklich wütend machen. Ich meine, was ist denn
das bitte für 'ne Weisheit?
Das einzige, was hier ja wirklich
offenbart wird, ist die Tatsache, dass wir zu feige sind, bestimmte
Dinge im nüchternen Zustand auszusprechen. Und einmal mehr kommt die
Frage auf: Wäre es nicht viel geiler, auch ohne Alkohol direkter und
ehrlicher zu sein – nur mit dem erfreulichen Extra, dass man
wenigstens weiß, was man sagt?
Das ist auch der Punkt, an dem ich
selbst noch am meisten arbeite. Nicht alles hat bisher so optimal
geklappt, aber ich denke, dass ich da schon irgendwie hinkomme.
Selbstverständlich nüchtern.
Punkt 4: Alkohol verstärkt meine
Stimmung – positiv wie negativ.
Nüchtern feiern zu gehen ist nicht
immer ganz der Burner, muss ich zugeben. Oft gehen mir die Menschen
ziemlich auf den Geist, manchmal ist die Musik völlig beknackt, und
manchmal bin ich auch einfach nicht gut drauf. Allerdings ist das
betrunken nicht viel anders.
Da ist es aber so, dass mein
Gemütszustand noch zusätzlich verstärkt wird. Klar, wenn mal alles
passt und wirklich alles gut ist, dann habe ich betrunken den größten
Spaß ever, und ja, dann ist es witziger als nüchtern. Aber auch nur
dann. Und ein ganz wichtiger Punkt gleicht das alles wieder aus: Ich
krieg nüchtern das Gute viel besser mit, kann's besser genießen,
und erinnere mich besser dran.
Wenn ich mir hingegen schon etwas
„schön trinken“ musste, ist der Abend erst recht in die Hose
gegangen. Ganz zu schweigen von schlechter Laune und damit
einhergehenden depressiven Gedanken. Das wiederum ist alkohol-los
nicht so fatal. Da war's dann halt einfach mal ein etwas lamer Abend,
nicht mehr, nicht weniger. Dann schaue ich in mein Portomonnaie,
sehe, dass ich wenigstens nicht so viel ausgegeben habe, und dann ist
es auch okay.
Punkt 5: Ich mag nicht, wie die
Gesellschaft damit umgeht.
Leben und leben lassen. Jeder kann
trinken wie er will. Ich verurteile niemanden, der sich jedes
Wochenende besäuft. Wichtig ist nur – wie auch im Alltag - dass du
kein asozaler Vollwichser bist. Dann komme ich mit dir zurecht.
Leider gibt es in unserer Gesellschaft
viele Menschen, die das nicht verstehen. Das fängt bei Dorffesten an
und hört bei Hauspartys auf. Ich will mich einfach nicht mehr dafür
rechtfertigen müssen, dass ich nichts trinke. Wenn ich nicht will,
dann will ich gar nichts, auch nicht„nur dieses eine kleine
Bierchen“. Ich möchte in größerer Runde nicht dazu gedrängt
werden. Ich zwinge ja auch keinen Vegetarier dazu, Fleisch zu essen,
wenn's „nur dieser eine kleine Bissen“ ist.
Wenn ich mich selber einschätzen
müsste, würde ich sagen, dass ich inzwischen unter Menschen
nüchtern viel besser klarkomme, und mich auch wohler fühle. Ich
kann's nicht ausschließen, dass ich auch mal wieder etwas mehr
trinken werde, aber inzwischen denke ich eher, dass das mit dem
Verzicht jetzt dauerhaft so sein wird. Ich habe einfach keinen Grund
mehr.