Die Wende im Spiel: Van Persie macht den "fliegenden Holländer" |
Es muss schon verdammt viel passiert sein, wenn man knapp 24 Stunden nach Anpfiff des ersten WM-Spiels schon geneigt ist, Prädikate wie »denkwürdig« oder »atemberaubend« in den Mund zu nehmen. Denkwürdig, das war allein schon die Konstellation: Die beiden letzten WM-Finalisten wurden bereits in der Gruppenphase erneut zusammengeführt, noch dazu im ersten Spiel. Doch wirklich denkwürdig war dann vor allem das, was die beiden, nein pardon, was EINE Mannschaft auf den Rasen der Arena Fonte Nova in Salvador zauberte. Mit 5-1 deklassierten die Niederländer den Europa-Welt- und Europameister Spanien. Fünf zu eins! Jene Holländer, die vor knapp zwei Jahren sang- und klanglos mit 0 Punkten nach der EM-Vorrunde ihren Hut nehmen mussten, jene Holländer, die mit einer stark verjüngten No-Name-Truppe nach Brasilien reisten und denen von nicht wenigen das erneute frühzeitige Aus prognostiziert wurde. Nach einem der verrücktesten Fußballspiele der vergangenen Jahre steht die Fußballwelt Kopf, wenigstens für ein paar Tage. Dabei schien alles seinen gewohnten Lauf zu nehmen: Die Iberer zogen ihr Spiel auf und
erzielten per Elfmeter die 1-0-Führung. Das selbiger nicht
berechtigt war, ist im Nachhinein nur noch eine Randnotiz. Dafür
sorgte einer der bekannteren Namen im Oranje-Kader: Robin van Persie.
Sein Tor kurz vor der Halbzeit gab dem Spiel die entscheidende Wende,
weil es wichtig, vor allem aber weil es so großartig war. Eine
50-Meter-Flanke aus dem Halbfeld vollendete der ManU-Star per
Flugkopfball. Die perfekte und ästhetischste Interpretation der
Bezeichnung »fliegender Holländer«. Extrasahneklasse. Und doch war
es nur ein Vorgeschmack auf das Spektakel der zweiten Halbzeit, der
vor allem Bayern-Spieler Arjen Robben seinen Stempel aufdrückte.
Robben zum 2:1 |
Er,
die tragische Figur des 2010er-Finals von Johannesburg, drehte auf
und machte vermutlich eines der besten Spiele seiner Karriere. Zwei
Tore, eins schöner als das andere. Beim 2:1 glänzte er mit
grandioser Ballkontrolle, das letzte Tor erzielte er mit einer wahren
Energieleistung, als er dem frisch gekürten Champions-League-Sieger
Sergio Ramos davonsprintete und Iker Casillas umkurvte. Zudem trafen
Stefan de Vrij und erneut Robin van Persie, der einen kapitalen
Schnitzer des Schlussmanns ausnutzte. Das saß! Vier teilweise echt brillante Tore der Elftal, davon ein irreguläres, aber dazu sagt man dann wohl »ausgleichende Gerechtigkeit«, und völlig konsternierte Spanier – Ungläubigkeit dominierte vor den TV-Geräten und dort wird sich die Fußball-Welt gestern wohl kollektiv ein bisschen in die Oranje verliebt haben. Denkwürdig, das ist genau das richtige Wort für diesen zweiten Fußballabend in Brasilien. Und das auch nur weil »historisch« ein bisschen zu hochtragend klingt, schließlich waren hier nur die ersten 3 Punkte der Gruppenphase zu vergeben. Holland kann noch rausfliegen, Spanien noch Weltmeister werden – doch das ist jetzt beides so unwahrscheinlich wie nie zuvor.
Nun gab es gestern noch
zwei andere Spiele, die im Schatten des großen Duells standen, an
sich aber ebenfalls super Unterhaltung boten. Mexiko und Kamerun
lieferten sich beispielsweise eine Regenschlacht, in dessen Verlauf den Mexikanern
zwei reguläre Tore aberkannt wurden. Wenn der Schiedsrichter das
beides sieht, und vor der Halbzeit auch noch einen fälligen
Strafstoß pfeift, dann kann's auch schnell mal 3-0 stehen. Gott sei
dank, mag man angesichts der ohnehin schon andauernden Diskussionen
sagen, erzielten die Lateinamerikanern noch ein weiteres Tor, dem man
die Anerkennung endlich mal nicht gewähren konnte. So steht ein
hochverdienter Sieg gegen alles im allen enttäuschenden Kamerunern.
In Cuiaba duellierten
sich zum Abschluss des Tages ein Geheimfavorit und ein krasser
Außenseiter. Klingt eindeutig, sieht nach 15 Minuten und 2:0 für
Chile gegen Australien auch so aus, doch wer dachte das sei's
gewesen, wurde eines besseren belehrt. Die Aussies fanden zurück ins
Spiel, machten den Anschlusstreffer und hatten in der zweiten Halbzeit
genügend Chancen für den Ausgleich. Ein offener Schlagabtausch
zwischen den spielerisch talentierten Chilenen und den bis zur
Erschöpfung kämpfenden Socceroos entwickelte sich. Das bessere Ende
hatten die Südamerikaner – 3:1. So macht Fußball Spaß!
Es war ein gigantischer
zweiter WM-Tag. Brasilien 2014, das
könnte ein begeisterndes Turnier werden.