WM-Tagebuch #4 – Eine Underdog-Story

Sambamärchen. Gestern gab es gleich vier Spielen, von 18 Uhr abends bis 5 Uhr morgens lief der längste Spieltag dieser WM, und ich war tatsächlich verrückt genug, wieder alle Partien zu verfolgen. Ich wurde nicht enttäuscht, denn das Turnier macht munter weiter.

Underdog, Sparringspartner, Punktelieferant – Man hat viele böse Bezeichnungen für die Rolle der kleinen Mannschaften finden können, die in die Todesgruppen B und D gelost wurden. Australien war die eine, Costa Rica die andere. Ihre Chancen standen ungefähr bei Null, und eigentlich dürfen sie sich absolut jeden Treffer ausgelassen feiern, den sie in Brasilien erzielen. Nachdem Australien freitags schon beeindruckend gekämpft hat, setzte Costa Rica gestern dem Ganzen noch die Krone auf: Sie legten dem Mitfavoriten und WM-Vierten Uruguay nämlich gleich drei Eier ins Netz, kassierten dafür nur eins... 3-1 - Die erste Sensation des Turniers!
Natürlich lag das vorrangig am erschreckenden Auftreten der Südamerikaner, die gegen den klaren Außenseiter in Halbzeit eins nur einen Elfmeter zustande brachten. Viel zu wenig, angesichts der teils abenteuerlichen Verteidigung des Gegners. Man sah deutlich, warum Costa Rica als Punktelieferant gilt - woher die Urus ihren Geheimfavoriten-Status haben, blieb allerdings weitestgehend unbeantwortet. 
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Costa Rica freut sich über Platz 1
Diego Forlan, 2010 noch bester Spieler des Turniers, tauchte komplett ab, genauso wie 60-Millionen-Mann Edinson Cavani. Vielleicht waren sie sich zu sicher, in Halbzeit zwei noch das ein oder andere Tor zu schießen. Das rächt sich. Denn das sind genau die Momente, die den Anfang für die ganz großen Underdog-Stories darstellen. Costa Rica drehte auf, wohingegen die Beine der Celeste immer schwerer wurden. Das 1-1 durch Joel Campbell (spielt offiziell tatsächlich bei Arsenal London) war schon eine dicke, fette Überraschung, doch in Fortaleza lag an diesem Nachmittag so viel mehr in der Luft. Es roch nach Sensation, ja, nach Wunder. Und die geschehen bekanntlich immer mal wieder. Oscar Duarte, ein Name den ich grade googeln musste und wahrscheinlich nie wieder hören werde, sorgte mit seinem klasse Kopfball schließlich für die Führung. Und die verteidigten die Mittelamerikaner dann mit viel Leidenschaft und Herz. Was ihnen an Qualität fehlt, wurde in solch einer Situationen durch den unbändigen Willen kompensiert. Uruguay sollte in jenem Spiel kein Tor mehr schießen. Marcos Urena (same here …) machte den Sack zu. Das was weltweit wohl nur die kühnsten Träumer prophezeit hatten, wurde Wirklichkeit: Costa Rica schlägt Uruguay und ist nach dem ersten Spieltag in der Todesgruppe D Tabellenführer. Eine echte Underdog-Story. So schnell kann's gehen.

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Jubeltechnisch Topfavorit: Kolumbien
Auch sonst war viel los. In den anderen drei Spielen fielen jeweils drei Tore, was die Torebilanz dieser Weltmeisterschaft jetzt auf 28 Tore nach 8 Spielen schraubt. In Südafrika waren wir noch nicht mal bei der Hälfte. Kolumbien besiegte Griechenland, weil sie die Tore stets zum richtigen Zeitpunkt machten. Eins ganz am Anfang, eins kurz nach der Halbzeit und eins ganz am Ende. Ergibt 3-0 und den ersten Erfolg des Geheimfavoriten, der außerdem den bisher schönsten Torjubel des Turniers vollzog. Italien und England lieferten sich in Manaus, mitten im Dschungel am Amazonas, ein Duell auf Augenhöhe, das sich auch recht schnell erzählen lässt: England macht viel Druck, Italien das 1-0. Zwar erzielten die »Three Lions« nur zwei Minuten später schon den Ausgleich, doch ihr laufintensives Spiel hatte seinen Preis: Nach der neuerlichen Führung der Azzuri durch Mario Balotelli waren die Engländer platt, körperlich am Ende. Das haben die Italiener schon viel cleverer gemacht, auch wenn ihr Fußball nicht wirklich ansehnlich war. Am Ende zählen nur die drei Punkte, und sie haben jetzt allerbeste Chancen auf den Gruppensieg.
Spät in der Nacht, 3 Uhr deutscher Zeit, wagten sich dann nur die letzten Idioten noch vors TV-Gerät. Und sie sahen ein schönes Spiel, dass der Japaner Keisuke Honda in genialer Art und Weise eröffnete. Die 1-0-Führung über die Elfenbeinküste hatte zwar noch lange Zeit Bestand, doch die Afrikaner waren das spielbestimmende Team. Was dann folgte, lässt sich eigentlich kaum erklären: Weltstar Didier Drogba, den Trainer Lamouchi (höhö) zunächst noch auf der Bank ließ, kam in der 62. Minute ins Spiel, und das muss bei den Japanern so einen Eindruck hinterlassen haben, dass das Spiel komplett kippte. Wilfried Bony und Gervinho trafen zum 1-1 und zum 2-1 – in den Spielminuten 64 und 66. Das nennt man dann wohl den Drogba-Effekt ... Japan erholte sich davon nicht mehr, und verlor sein erstes Spiel. Noch ist in dieser Gruppe C alles möglich, doch Kolumbien und die Elfenbeinküste haben schon mal beeindruckend vorgelegt.

Heute starten u.a. die Schweiz, Frankreich und Argentinien ins Turnier. Morgen steht dann die erste Herausforderung für unsere Jungs an. Die Aufregung steigt. 
Ate breve!