(3) Das originale LBNL-Ratingsystem 5000! - oder so.

Vielleicht kennt und nutzt ihr ja Musikblogs wie Pitchfork und NME oder Review-Aggregatoren wie Metacritic oder Anydecentmusic, um zu schauen, was gut und angesagt ist. Kritikerlieblinge eben. Früher habe ich so etwas sehr gerne genutzt. Ein natürlicher Instinkt also, dass ich jetzt, wo ich wieder vermehrt Alben hören wollte, auch irgendwie zu solchen Orientierungspunkten zurückfand. Zusätzlich gibt es mittlerweile auch auf YouTube eine Unmenge an Album-Review-Kanälen. Mal bekannt und humorvoll wie Anthony Fantano, extrem detailliert wie Spectrum Pulse, oder aber etwas spezialisierter, wie ARTV, der viel bespricht, was meinem Geschmack entspricht. Sie alle nutzen ihr eigenes Score-System.

Es ist nicht so, dass mich diese Ratings komplett beeinflussen. Vieles, was ich mag, wurde durch die ein oder andere Review schon völlig vernichtet. Und zu vielen Platten, die in den Himmel gepriesen worden sind, fand ich keinerlei Zugang. Viel mehr war es die Art und Weise, wie sie über Musik reden und wie sie ihre Ratings begründen, die mich fasziniert hat. Ich wollte mir genauso über Musik Gedanken machen.

Nun ist es so: Ich habe kein Profi-Ohr. Man mag ein Gefühl haben für solche Kriterien wie lyrische Skills, Gesangstechniken oder Produktionsqualität, doch wirklich Ahnung? Eher nicht. Und doch war klar, dass ich, wenn ich mir Alben erschließen möchte, sie vergleichbar machen möchte, ein eigenes Bewertung- und Ratingsystem einführen musste. Um anzuzeigen, wie sehr ich etwas mag - und wie sehr nicht.

Ich habe ein bisschen herumprobiert mit den Alben, die ich schon gut kannte. Mal war es zu einfach, auf den jeweiligen Höchstwert zu kommen, mal zu schwierig. Mal probierte ich eine 5er-Skala aus, sogar eine 9er-Skala hatte ich eine ganze Weile, völlig hirnrissig. Ich erspare euch den langen Weg dorthin. Und erkläre lieber, wie mein System, für das ich mich entschieden habe, funktioniert. Wenn man es genau nimmt, habe ich auch hier mein Mixtape-Verhalten genutzt. Ich scanne: Mag ich. Mag ich nicht. Treffer. Niete. Auf das simpelste heruntergebrochen. Aber tatsächlich ziemlich gut geeignet als Basis für mein Ratingsystem.

Mein Score soll zwischen 0 und 10 liegen. Und er soll drei Faktoren betrachten: 1) Die durchschnittliche Qualität des Albums. 2) Der Anteil der guten Songs (Highlights) 3) Der Anteil der Songs, die ich nicht mag (Lowlights). 2 und 3 sollen gleichgewichtet werden. 

Oder, in Formelformat übersetzt: Durchschnitts-Score (maximal 4 Punkte) + Highlight-Score (3 Punkte) + Lowlight-Score (3 Punkte).

Und so funktioniert es:


Schritt 1: Die Songs bewerten.

Jeden einzelnen Song auf einem Album zu bewerten, ist ja nun wirklich kein originelles Hexenwerk. Man hätte es sich auch ganz einfach machen können: Jeder Song bekommt einen Wert zwischen 0 und 10. Durchschnitt berechnen. Fertig. Aber optimal fand ich das nicht.

Zunächst gebe ich also jedem Song auf dem Album (sofern er mindestens 30 Sekunden lang ist und sich entscheidend abhebt. Skits werden im Normalfall nicht mitgezählt, es sei denn, sie sind besonders wichtig oder auffällig) einen Wert. Ich habe festgestellt, dass ich beim Hören, beim "Scannen", fünf wesentliche Gefühle habe: Ich kann einen Track abgöttisch lieben. Ihn mögen. Ihn nicht mögen. Ihn abgrundtief verabscheuen. Oder er löst keine entscheidende Regung in mir aus. Kann man nachvollziehen, oder? Fünf Gefühle, fünf Stufen also. Die da lauten:

0: Purer Hass

1: Mag ich nicht.

2: Ein neutrales "Joa"

3: Mag ich.

4: Purer Genuss.

Gehen wir als Beispiel doch einfach mal ein Album durch. Ich habe mir eines ausgesucht, das sämtliche Gefühle umfasst und daher ganz anschaulich ist. Ich habe mich für Sorry For The Late Reply von Sløtface entschieden. 'Ne schöne Indie-Scheibe von Anfang dieses Jahres.


Wir zählen erst einmal 13 Songs. Aber sind die 0:34 bei #11 schon genug, um den Track mitzuzählen? Kommt drauf an. Beim Reinhören werden wir feststellen, dass es das Intro zum nächsten Song ist, hebt sich nicht besonders ab, wird also nicht mitgezählt. Hier 'ne allgemeine Regelung zu finden, ist schwierig. 30 Sekunden nehme ich meist als Marke, aber in diesem speziellen Fall zählt dieses "Sich-nicht-abheben" mehr. 12 Songs also, die es zu bewerten gilt. So habe ich sie bewertet: 0-4-4-4-3-2-2-1-3-3-3-2. 


Schritt 2: Den Durchschnittswert berechnen.

Dies ist der einfachste Schritt. Addieren und durch die Songzahl teilen.

Für Sorry For The Late Reply: 31/12 = 2,58.


Schritt 3: Die Highlight- und Lowlight-Scores berechnen. 

Kommen wir nun zu den eingangs erwähnten Highlights und Lowlights. Ich nenne die hier zusammen, weil der dahinterstehende Gedanke im Grunde der Gleiche ist.

Wie unschwer zu erkennen sein dürfte, zähle ich Songs, die eine 0 oder 1 bekommen, als Lowlights, 3 und 4 als Highlights. Highlights sind solche Songs, die ich - ins Streaming übersetzt - auch in meiner Musik-Bibliothek speichere. Kann man denke ich mal auch am Beispiel-Album sehen.

Dass der Highlight-Score sich aus dem Anteil der Highlight-Songs an der Songanzahl des Albums ergibt, leuchtet auch ein. Haben wir z.B. ein Album mit 10 Songs, und bewerten wir davon 5 als Highlights, so beträgt der Anteil 50 Prozent. Man braucht kein Genie sein, um zu erkennen, dass der Highlight-Score in diesem Fall also 1,5 – die Hälfe von 3 – betragen würde. Logischerweise würde man 100 Prozent – also 10 von 10 Highlight-Songs – mit 3,0 bewerten. Der Lowlight-Score funktioniert vom Prinzip her ähnlich, nur genau spiegelverkehrt. Je weniger Lowlight, desto besser. 0 von 10 Lowlights? Ja, perfekt, das ist auch eine 3,0. Alles dazwischen wäre dann mathematisch auch kein Problem mehr.  

Doch nun ein Clou!

Ich muss es mir natürlich komplizierter machen. Aber man wird verstehen, warum ich das tue. Ich habe eine Weile herumprobiert, und festgestellt, dass es ganz praktisch ist, so etwas wie eine 10-Prozent-Klausel einzubauen. Ich meine, auch Alben mit 9 von 10 Highlights würde jeder normale Mensch als perfekt betrachten, oder? Meist gibt es eben einen Song, mit dem man nicht ganz so warm wird. Oder bei dem sich die Meinung ändert. Das ist normal. Heißt: ich wollte auch einem Album mit 9 von 10 Highlights schon den vollen Highlight-Score von 3,0 geben können. Noch bitterer wäre es, wenn dieser eine dämliche Song auf dem 10er-Album auch noch ein Lowlight ist! Die 10-Prozent-Klausel soll eine solche doppelte Bestrafung verhindern. Man kann auch sagen: Jedes Album hat 'ne Gurke frei. Auch ein 1 von 10-Lowlight-Album erreicht einen Lowlight-Score von 3,0. Das Grundprinzip lautet also:  10 Prozent = Highlight-Score von 0,0 (Lowlight-Score von 3,0) / 50 Prozent = 1,5 (1,5) /90 Prozent = 3,0 (0,0). 

Ich als Mathe-Noob kommt dann auf solche Formeln:

Highlight-Score = 3,75 * (Highlight-Songs/Album-Songs - 0,1)

Lowlight-Score = 3 - (3,75 * (Lowlight-Songs/Album-Songs - 0,1))

(Im Extremfall bekommt man so auch Werte über 3 und unter 0. Ähm, ja, einfach per Hand oder von Excel korrigieren lassen, ne)

Machen wir das doch noch am Beispiel Sorry For The Late Reply

Wir erinnern uns an die Reihe 0-4-4-4-3-2-2-1-3-3-3-2. Wir zählen 7 Highlights, ein paar richtig starke Ohrwürmer sogar, und 2 Lowlights - vor allem den Opener mag ich nicht.

Highlight-Score: 3,75 * (7/12 - 0,1) = 1,81

Lowlight-Score: 3 - (3,75 * (2/12 - 0,1)) = 2,75


Schritt 4: Addieren.

Das ist dann nur noch eine Formalie. Wo landen wir mit Sorry For The Late Reply?

2,58 + 1,81 + 2,75 = 7,14

That's it! Das trifft ziemlich gut, wie ich das Album insgesamt empfinde, überwiegend unterhaltsam mit ein paar schwachen Momenten.

Probiert mal selbst ein bisschen umher. Macht eine Excel-Tabelle, die euch das alles in Sekundenschnelle berechnet.

Was ich an diesem System so mag, ist seine Symmetrie. Es geht von der goldenen Mitte aus, die sich dann durch die einzelnen Songs in eine bestimmte Richtung bewegen kann. Ein Album, das völlig arm an Highlights ist, aber sich trotzdem ganz harmlos hören lässt, erreicht eben eine solide 5. Wenn ich genau die Hälfte eines Albums mag (und kaum ein Song wirklich negativ auffällt), ergibt dies meist eine 7. Wenn ich jeden Song auf der Platte gut finde, aber nicht fantastisch, dann reicht das noch nicht für die Höchstzahl, sondern für die 9. Für die 10 braucht es das "Besondere".

Es macht einen Heidenspaß. Und im Prinzip ist es das, was ich seit rund zwei Jahren nun exzessiv betreibe. Mich mit Alben beschäftigen und sie bewerten. Anfangs ging das natürlich recht fix, denn man hat ja schon eine große Basis an Alben, die man gut kennt. Aber auch viele neue Platten habe ich so für mich erschlossen. 

So.

Diese Alben-Ratings sind also neben den Künstler-Ratings der zweite Grundpfeiler meiner Musik-Datenbank. Und dieser Pfeiler wächst. Wöchentlich, täglich. Mittlerweile habe ich ... bitte verurteilt mich nicht ... 1200 Platten verzeichnet. Ich bin wahnsinnig. Aber ich höre lange noch nicht auf. 

Da ist sie wieder, die Gier, die Entdeckungslust. Immer auf der Suche nach dem perfekten Album.

Aber natürlich bringt es herzlich wenig, diese Ratings einfach nur für sich stehen zu lassen. Was bringt es, wenn man all das nicht in irgendeiner Form würdigt? Parallel zu diesem großen Ranking habe ich noch ein weiteres Verzeichnungssystem eingeführt. Für die besten der besten. Für die Lieblingsalben. Meine Hall of Fame. Zu der entführe ich euch - you guessed it - beim nächsten Mal ...