(2) Was ich höre - Musik und meine Kindheit

In einer Serie, die sich mit meinem Musikgeschmack auseinandersetzten soll, muss zwangsläufig die Frage gestellt werden, wann ich begann, einen solchen zu entwickeln. Es ist irrsinnig schwer, da einen richtigen Anfangspunkt zu finden, weil es verschiedene Ansätze gibt. Man könnte in jener Phase beginnen, in der man Musik zum ersten Mal bewusst wahrgenommen hat. Man könnte nach dem Moment suchen, in dem man sich zum ersten Mal einen Songtitel gemerkt hat und allmählich entdeckte, was man mag, und was nicht. Man könnte mit der ersten selbstgekauften CD anfangen, dem Moment, in dem man ein eigenes Radio im Zimmer stehen hatte. Das alles hatte zweifellos einen Impact – und dazu kommen wir auch gleich noch – doch der alles entscheidende Moment war für mich mein erster eigener PC. Das war Ende 2007, also kurz vor meinen 13. Geburtstag. Es war mein Einstieg ins Internet, YouTube und – let's face it – Filesharing. In diesen Moment hatte ich erstmals die Möglichkeit, a) selbst aktiv zu entscheiden, was ich hören möchte, b) auf die Suche nach neuer Musik zu gehen.Alles davor würde ich als passives Musikinteresse bezeichnen. Und genau darum soll es in diesem Post gehen

Mein passives Musikinteresse - 7 bis 12 (2002 bis 2007)

Wie erwähnt, war ich in dieser Zeit von anderen Quellen abhängig, neue Musik zu entdecken und – noch wichtiger – Lieblingsmusik zu hören. Radio, Fernsehen (vor allem Musikfernsehen), Freunde und Familie, Feiern und sonstige Events, sowie Games und sonstige Medien. Trotz allem entwickelte ich eine Grundlage an musikalischen Präferenzen. Nahm Musik bewusst wahr. Und merkte mir Titel und/oder Künstler. Ich habe lange überlegt, wann und womit das alles begann. Nochmal: Ich suche schließlich nicht einfach nur Songs, die damals aktuell waren und die ich heute noch mag, sondern explizit solche, bei denen ich mir damals schon bewusst Titel und/oder Künstler gemerkt habe. Ich habe es auf drei Songs heruntergebrochen. Und diese sind dermaßen zuckersüß und harmlos, dermaßen 2000er, dass ihr bei allen »Ach Gott, wie süß!« sagen werdet.

Nummer eins: »Daylight in Your Eyes« von No Angels. Ja, ich weiß. Ich kann das alles auf meine Cousinen schieben, die die No Angels rauf und runter gehört haben, doch vor allem »Daylight« hat  sich eingebrannt. Zweiter Moment: Die WM 2002. Hier begann ich mich für Fußball zu interessieren, was wohl tatsächlich auch mit einem heute völlig vergessenen Song zu tun hat: »This Is My Time« von Sasha. Das war so ein Lied, das ich immer im Kopf hatte, wenn ich den Ball zur Hand nahm, und versuchte, das Musikvideo nachzuspielen. Als drittes muss ich dann wohl anerkennen, dass auch Deutschland Sucht Den Superstar im Winter 2002/03 einen derartigen Eindruck hinterlassen hat, dass ich den Staffelsong »We Have a Dream« unbedingt auf CD haben wollte.

Dieses seltsame Trio hat also dafür gesorgt, dass ich von nun an mehr und mehr darauf achtete, welche Musik mich umgab. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass ich schon während meiner Grundschulzeit (bis 2005) viele Trends mitbekam. Das mag auch daran liegen, dass ich einen älteren Bruder sowie – wie gesagt – drei ältere Cousinen habe, die allesamt in den 2000ern ins Teenager-Alter kamen, MTV und Viva schauten, was ich dann wiederum auch tat. Als zweite individuelle Prägung würde ich Gaming-Soundtracks nennen, obwohl die bei mir nur sehr rar gesät sind. Im Grunde kann ich das auf folgende Spiele runterbrechen: FIFA 2005, Fifa Street 2 (2006/07) und Tony Hawk Pro Skater (2000). Später, in meiner Gymnasialzeit, hatten viele Klassenkameraden schon früher Zugang zu Musik und prägten mich damit auch.

Ich habe mal versucht, die wichtigsten Titel zusammenzutragen. Nochmal: Ich wollte nicht einfach nur Songs sammeln, die mich in meine Kindheit zurückversetzen und einen Nostalgiebonus haben. Ich suche solche, zu denen ich mich schon damals aktiv hingezogen fühlte. Das ist sicherlich nicht so einfach zu erfassen. Es beruht auf komplett subjektiven Entscheidungen und möglicherweise auch auf falschen Erinnerungen. Ich habe es trotzdem probiert. Eine Möglichkeit war z.B., sich meine Lieblingsliederlisten anzuschauen, da sich einige Songs darin befinden, die ich nicht erst mit 13 / 2008 entdeckt habe. Zudem lag es nah, auf die Charts der damaligen Zeit zu blicken und sich daran zu erinnern, was schon damals eine gewisse Bedeutung für mich hatte.

Das Ergebnis ist eine Playlist von 50 Songs, die allesamt die Phase meines »Passiven Musikinteresses« entsprangen. Schauen wir doch mal genauer rein:

Genre

Anteil

Pop

52 %

Alternative

30 %

Indie

14 %

Electronic

4 %

Meine größte Prägung erfuhr ich – das ist wenig überraschend – durch die Pop-Musik der 2000er Jahre. (Überhaupt gab es nur 3 Songs, die nicht in den 2000ern sondern Ende der 90er erschienen sind, über sehr viel Airplay aber trotzdem den Weg zu mir fanden.) Zwar habe ich Alternative und Indie nochmals extra notiert, doch zweifellos sind auch bei den unter dem »Pop«-Label gefassten Songs große Einflüssen aus diesen Genres zu erkennen. Nehmen wir Avril Lavigne und Kelly Clarkson (mit dem Album Breakaway), die nicht nur zwei der größten Popstars des Jahrzehnts waren, sondern auch mich sehr beeinflusst haben. Ganz besonders hervorheben möchte ich hier Clarksons Welthit Since U Been Gone.


Die Indie/Alternative-Einflüsse, dann dieser unwiderstehliche Power-Pop-Chorus – der Song war zweifellos so etwas wie ein Richtungsweiser, ein Template für das, was ich als perfekten Song bezeichnen würde.

Zur selben Zeit, um 2005, waren Green Day mit ihrem Album American Idiot (bzw. sämtlichen Singles) ungemein populär, und ich war immer sehr erfreut, sie im Radio zu hören oder auf MTV zu sehen. Weitere Alternative-Songs, die ich damals schon sehr mochte, waren In The Shadows von The Rasmus, I Just Wanna Live von Good Charlotte oder auch Red Flag von Billy Talent. Und – man kann es drehen und wenden wie man will – auch Nickelback waren mit ihrem eingängigen Post-Grunge verdammt prägend.


International – so lässt sich grob zusammenfassen – erreichte mich also ein Mix aus Alternative Rock und Pop-Rock. Nicht, dass ich den populären Hip-Hop oder auch R'n'B dieser Zeit nicht wahrgenommen hätte – ich habe Gitarrenmusik einfach viel mehr gemocht. Ein Trend, der auch bei den deutschsprachigen Bands zu erkennen ist. So lösten Wir Sind Helden und Juli Mitte der 2000er einen Hype um Deutsch-Rock aus, der mich sehr prägte. Auch dass ich – hier kommt wieder mein Fußballinteresse ins Spiel – sehr an der Musik der Sportfreunde Stiller interessiert war, würde ich hier mit erwähnen, wenngleich letztlich keiner ihrer Songs in der Playlist gelandet ist. Sicherlich haben sie alle mir als Gitarrenbands den Weg ins Indie-Rock-Spektrum geebnet. Internationale Bands wie Snow Patrol, Rooney und Kaiser Chiefs hatten Mitte der 2000er allesamt große Radio-Hits.

Was sich also sagen lässt: Wenn Indie und Alternative damals nicht einen derartigen Hype erlebt hätten, dann sähe mein Musikgeschmack heute sicher ganz anders aus. 

Das war ein erstes kleines Gedankenexperiment. Ein Spiel mit dem eigenen Erinnerungsvermögen. Eine grobe Übersicht über Trends, die mich geprägt haben könnten. Im nächsten Teil widme ich mich meinem aktiven Musikinteresse und der Suche nach meiner Nische.