(1) Prolog: Die Gier. Die Probleme. Die Lösung.

 Die Gier

»Ich höre gerne Musik« - eine der unoriginellsten Aussagen, die ein Mensch treffen kann. Wer hört denn bitte NICHT gerne Musik? Jeder liebt Musik, auch wenn sich diese Liebe bei jedem anders offenbart. Viele sind zufrieden, wenn das Radio dudelt. Viele mögen's klassischer, besuchen Opern. Andere sammeln Vinyl-Scheiben, schmeißen sich in Moshpits, und, und, und.

Aber ist das schon Gier? Ist jeder gierig auf Musik? Ich würde Musik-Gier so beschreiben, dass man den Drang verspürt, aktiv neue Musik zu entdecken. In der Teenie-Zeit ist das denke ich mal normal, dass man sich über Musik zu definieren versucht und diesbezüglich viel ausprobiert. Aber irgendwann kommt bei den meisten doch der Punkt, wo sie sich in einer musikalischen Heimat »niederlassen«. 

Oder nicht? Also ich frage ernsthaft, weil ich in meinem Umfeld dazu ganz unterschiedliche Beobachtungen mache. Ich für mich persönlich kann heute sagen: Ich bin noch lange nicht angekommen. Es gibt noch so, so viel, was ich entdecken möchte, seien es Künstler-Diskographien, bestimmte Alben, die neuesten Musiktrends, oder Legenden der Vergangenheit. Vielleicht komme ich auch irgendwann »an«. Vielleicht habe ich auch irgendwann genug und fahre zurück, aber nein, Stand jetzt bin ich gierig, gierig nach Musik.

Natürlich hat das Musikstreaming es wesentlich einfacher gemacht, neue Dinge zu finden. Ich sehe mich derzeit auch eher als Musik-Junkie, nicht als -Liebhaber. In den 2000ern groß geworden, sind mir Dinge wie MP3-Sharing und YouTube-Converter nun alles andere als fremd. Ich bin nicht stolz drauf. Und ich fühle auch etwas Scham, dass ich heute voll und ganz auf Spotify setze, was, nun ja, eben moralisch auch nicht einwandfrei ist (auch wenn ich Premium zahle). Klar, ich gehe dafür ja auch vermehrt auf Konzerte (vor 2020 jedenfalls) und entdecke überhaupt erst vieles, was mir vorher verborgen geblieben wäre. Aber was bringt's, wenn viele Künstler davon eben nicht leben können? Dessen bin ich mir bewusst. 

Doch mir ist vor ein paar Jahren noch etwas anderes passiert, etwas ganz Paradoxes: Diese Gier nach neuer Musik, die hat dazu geführt, dass ich diese Gier nach neuer Musik verloren habe.

Die Probleme

Streaming hat immens viele Vorteile. Ich kann mich quer durch alle Genres bewegen, und rückwärts durch die Jahre, alles innerhalb von Sekunden. Viel hängt dabei auch davon ab, ob man »Album-Hörer« ist, oder sich doch eher vom Playlistdschungel treiben lässt. Lange war ich Zweiteres. 

Alben, das waren höchstens bessere Mixtapes, eine Quelle, aus denen ich mir dann in Rasterfahndung ein paar nette Tracks herauspickte. Ich will nicht sagen, dass das per se »falsch« ist, doch »richtig« fühlte es sich eben auch nicht an. Die Künstler geben ihr Blut und Schweiß für diese Projekte, und ich nutze nicht nur fragwürdige Plattformen, um diese zu konsumieren, sondern nehme mir dann nicht mal genügend Zeit, um ihre Ideen genügend zu würdigen. Ich nenne das Playlist-Hopping. Also das schnelle Entscheiden nach wenigen Sekunden. Das mag ganz gut sein, wenn man einen schnellen Eindruck von unbekannten Künstlern haben möchte, doch es sollte kein Standard sein. Und doch war es das für mich. Ich hatte keine Geduld mehr.

Lange, lange Zeit war die Hauptquelle zu »neuer« Musik mein »Mix der Woche«, den Spotify jedem bereitstellt. Zugegeben ein ziemlich nützliches Tool, das meinen Geschmack immer wieder auf erstaunlich gute Weise traf. Aber tat es das wirklich? War es nicht eher so, dass mich Spotify damit in eine kuschlige, musikalische Komfortzone schob und mir damit die Entscheidung abnahm, wo ich mich musikalisch »niederlasse«? Hat mich diese wöchentliche Dopamin-Spritze nicht auch so ein kleines bisschen süchtig gemacht hat? Habe ich nicht vor ein paar Absätzen in Anspruch genommen, »noch lange nicht angekommen« zu sein? Ja, eben! Damals begegnete ich nichts Herausforderndem, eben nichts, was Geduld verlangt. Und genau das ist das erste Problem, ein Problem, das der ein oder andere vielleicht als nicht so schlimm erachtet, doch ich selbst war damit irgendwie unzufrieden. 

Das Ding ist: Ich bin selbst Schuld daran, weil ich Spotify nutze. Spotify hatte damals und auch heute noch eine katastrophale Oberfläche. Die Bibliothek setzte sich aus einer Song-, einer Künstler- und einer Album-Übersicht zusammen, die aber allesamt nutzlos waren. In der Song-Übersicht fand sich simple Liste aller Songs, die man gespeichert bzw. geliked hatte. Nicht weiter schlimm, dazu gibt es ja die Funktion, selbst Playlisten zu erstellen. Das Problem waren die anderen beiden Sektionen. In der Künstler-Bibliothek fanden sich alle Artist, von denen man einen Song gespeichert hatte. Eine schier endlose Liste an No-Names. Man konnte zwar Künstlern "folgen", dies hatte aber keinerlei Effekt. Und auch der Album-Tab brachte nicht so viel. Hier wurden zwar nicht alle Platten automatisch gesammelt, was es möglich machte, nur seine Favoriten aktiv zu speichern. Der Fehler dabei: Speicherte man ein Album, wurden automatisch alle Songs gespeichert, auch solche, die man gar nicht mochte. Ich weiß, das mag kleinlich wirken, aber auf Dauer wurde es unfassbar nervig. Vor allem aber produzierte man das reinste Chaos. Ein Chaos zwar, dass sich mit eigenen Weg (ergo: Playlisten) zwar kontrollieren ließ, doch schön anzusehen war das Ganze, was ich da bis ca. 2016 meine Bibliothek nannte, wahrlich nicht. Inzwischen hat sich die Oberfläche etwas gebessert. Dazu später mehr.

Doch eine letzte wirklich schlimme Feststellung war, dass ich zwei völlig simple Fragen nicht beantworten konnte: Was sind deine Lieblingsalben? Wer sind deine Lieblingskünstler, deine Lieblingsbands? Auch das klingt auf dem ersten Blick nicht dramatisch. Aber für mich hieß das: Ich hatte schlicht und einfach den Bezug zu dem verloren, was ich hörte. Es war beliebig. Ich wusste oft nicht, wer hinter der Musik steckte, und noch viel, viel schlimmer: Es interessierte mich oft nicht.

Die Lösung

Zweifellos: ich musste einen Weg finden, mich aus diesem Loop zu befreien. Weg von der Beliebigkeit und dem Chaos. Es haben sich drei Fragen gestellt, auf die ich eine Antwort finden musste. Wie bekommt man Ordnung in seine Musikbibliothek bei Streamingdiensten wie Spotify? Wie identifiziert man seine Lieblingsmusik und wie hebt man sie hervor? Wie entdeckt man aktiv neue Musik? Kurz gesagt: Wie wecke ich die Gier, dieses Interesse, wieder zum Leben? 

Sicher gibt es nicht das eine Patentrezept. Doch ich habe vor drei, vier Jahren ein paar Dinge ausprobiert und verändert, die mir echt geholfen haben. Es ist ein langer Prozess, den ich auf den nächsten Seiten nun schildern möchte. Begonnen hat es aber mit diesen ersten drei Tipps:

Tipp 1: Alles von wenigen, statt wenig von allen. Wenn du einen Künstler ganz gut findest, schon mehrere Songs kennst und magst, dann tauch ab! Höre alles. Nimm dir ganze Diskographien vor. Hör Alben durch. Beschäftige dich mehrere Tage mit einer Band und oder einem Sänger. Du wirst vieles entdecken, was dir beim schnellen Durchklicken verborgen bleibt. Einzelsongs – also Tracks von Künstlern, von denen man sonst nichts oder wenig anderes kennt – sind okay. Aber versuche deren Zahl so gering wie möglich zu halten.

Tipp 2: Entziehe dich dem Algorithmus. Ich weiß selbst, wie unfassbar schwer das ist, den Mix der Woche als Hauptquelle neuer Musik aufzugeben. Zu verlockend ist es, sich nicht erst noch auf die lange Suche zu begeben und beim nächsten Mausklick sofort etwas zu finden, was man wahrscheinlich mag. Das Problem ist aber die hohe Frequenz. Jede Woche 30 Songs, 30 potentiell neue Künstler. Nicht alles wird einem gefallen, aber doch kommen jede Woche so neue Künstler hinzu, denen man kaum Aufmerksamkeit schenken kann, ehe am nächsten Montag wieder die FOMO kickt. Ich will nicht sagen, dass man nicht hin und wieder mal in den Mix hineinschauen kann, um sich inspirieren zu lassen, aber weniger ist mehr.

Tipp 3: Nutze Playlisten als Bibliotheken. Wie schon erwähnt war die Spotify-Oberfläche gelinde gesagt völlige Grütze. Als Übersicht über die gespeicherte Musik war sie damals nicht ansatzweise geeignet. Wer – wie ich – trotzdem nicht auf anderen Plattformen wechseln möchte, muss früher oder später selbst Übersicht schaffen. Bei wem die Musikbibliothek noch überschaubar ist, der kommt z.B. mit selbst erstellten Künstler- oder Alben-Playlisten ganz gut aus. 

Das sind Dinge, die mir anfangs sehr geholfen haben, den Fokus beim Musikhörern zurück zu gewinnen. Früher oder später aber wird auch das viel. Spätestens wenn die Zahl der Künstler-Playlisten in den dreistelligen Bereich vorrückt, wird auch das wieder zum Problem. Man muss eigene Regelungen finden. Ausgeklügelte Systeme, um die Spreu vom Weizen zu trennen.

Bei mir hat es lange gedauert. Aber ich glaube, dass ich inzwischen einen ganz guten Weg gefunden habe. Es ist der Grund, dass ich diese Posts überhaupt verfasse:

Tipp 4: Führe eine Musik-Datenbank.

Wie ich das mache? Das erkläre ich im nächsten Post.