Sambamärchen. 2006 und 2012 gegen Italien, 2008
und 2010 gegen Spanien – die deutsche Fußballnationalmannschaft
ist bei den vergangenen Turnieren stets kurz vorm Ende gescheitert,
weil im entscheidenden Moment etwas gefehlt hat. Was genau? Das
Quäntchen Glück? Die Qualität? Nein, die Fußball-Stammtische der
Republik sind sich einig: Uns fehlen vor allem die Typen!
Jaja, Bundestrainer ist schon echt ein
undankbarer Job. Es gibt Millionen von Menschen, die alles besser
wissen als du. Und wenn du keinen Erfolg hast, dann bist du der
Buh-Mann. Jogi Löw hat's besonders schwer: Er hat Erfolg, und
trotzdem wird seine Arbeit nicht so richtig anerkannt. Denn, und das
ist auch undankbar, in Deutschland gilt nur mit Pokalen Belegbares
als wirklicher Erfolg. Die deutsche Nationalmannschaft hat unter der
Leitung von Jogi Löw eine fantastische Serie von vier Halbfinals
hingelegt. Eine echte Revolution durchgebracht, in dem man das jahre-
oder besser jahrzehntelange schnöde (aber eben effektive) Spiel
durch jungen, dynamischen Powerfußball der Extraklasse ersetzt hat.
Doof nur, dass in dieser Zeit auch die Marke für die längste
titellose Ära der deutschen Fußballgeschichte geknackt wurde. Die
anfängliche Begeisterung ob der neuen spaßbringenden Fußballidee
schlug in den letzten Jahren bei den deutschen Fußball-Fans nicht
zuletzt auch deshalb in Unmut um.
Nun gibt es für so ein dreimaliges
Scheitern im Halbfinale, einmal dazu noch im Finale, einige
Erklärungen. Die Anderen waren halt einfach besser. Oder: Wir hatten
verdammt viel Pech. Der Deutsche macht daraus dann gerne: Wir waren
zu blöde. Man erklärt das dann gerne wie folgt: Die ganzen Pussies um Käpt'n Bubi Philipp Lahm sind halt
alle zu nett. Haben keinen Charakter, und ziehen niemanden mit,
wenn's mal nicht so rosig läuft. Früher, da hatten wir Deutschen
einige solcher Typen in unseren Reihen: Michael Ballack, Olli Kahn,
Stefan Effenberg, Loddar Matthäus … Die Spieler von heute haben alle
keene Ecken und Kanten mehr.
Nun, zugegeben, auch ich hatte schon
solche Gedanken. Das mit den Ecken und Kanten ist sicherlich nicht falsch, doch kann man damit allein vier bittere Pleiten erklären? Probieren wir es mal - woran lag es denn nun wirklich?
- WM 2006, Halbfinale: 0:2 n.V. gegen Italien (noch unter Klinsmann)
- EM 2008, Finale: 0:1 gegen Spanien
- WM 2010, Halbfinale: 0:1 gegen Spanien
Mal ehrlich: Vor dem Turnier hat man
nach dem Ausfall von Ballack nicht wirklich an eine erfolgreiche WM
geglaubt. Was dann folgte, war sensationell. 4:1 gegen England, 4:0
gegen Argentinien. Umso schwerer schockte dann die Niederlage gegen
Spanien. Die Elf war mutlos, erstarrte fast vorm übermächtig
scheinenden Gegner. Erklären kann man das nicht. Vielleicht hat man
nicht daran geglaubt, gegen das weltberühmte Tipp-Monster
anzutreten: Krake Paul war Schuld, ganz klar!
- EM 2012, Halbfinale: 1:2 gegen Italien
Ich würde sagen, 2006 und 2008 waren die Gegner jeweils besser, und die deutsche Mannschaft noch ein Stück zu jung. Auch 2010 war man noch unerfahren, bedingt durch Ballacks Ausfall, doch das hat gegen Argentinien und England auch gereicht. Spanien war verdammt stark, ja, aber unschlagbar eben auch nicht, bin ich der Meinung. 2012 haben wir es uns dann erstmals nur uns selbst zuzuschreiben. Löw wählte die falsche Taktik (was er inzwischen auch selbst schon zugab) und die Elf zeigte nach dem 0:2 kein echtes Aufbäumen. Um zu der Eingangsfrage zurück zu kommen - uns fehlte die Erfahrung, die Qualität und vor allem ein Plan nach den Rückständen.
Nur, wird es diesmal anders?
An der Erfahrung kann es diesmal nicht
liegen. An der Qualität auch nicht, wir haben schließlich die
goldenste Generation aller Zeiten auf dem Platz (dasrein deutsche CL-Finale 2013 war kein Zufall). Es hängt jetzt
entscheidend von der Einstellung und von der richtigen Taktik ab. Und vom
Glück, das kann man ja leider auch nicht vorhersagen. Denn: Was passiert, wenn wir in einem möglichen Halbfinale gegen Brasilien 0:1
hinten liegen, und das fanatische Publikum den Gastgeber nach vorne
peitscht? Gibt es da dann jemanden, der der Mannschaft einen
Arschtritt verpasst und das Ding noch rumreißt? Oder hemmt das die
Elf, wie in den vergangenen Jahren? Fehlen in solchen Situationen
dann echt die Typen?
Ich würde sagen, ja. Die
Nachvornepeitscher gibt es in unserem Kader eher nicht. Thomas Müller
wäre vielleicht noch einer, der dem Ganzen eine Wendung der
kämpferischen Natur geben könnte, oder Sami Khedira, möglicherweise
auch Schweini. Aber das war's dann auch schon. Wehe, der Gegner geht
in Führung ...
Das ist auch anderen Fußball-Nationen
schon aufgefallen. Viele internationale Top-Stars zählen Deutschland
zwar zum Favoritenkreis, erwähnen aber auch immer wieder, dass
Deutschland zuletzt oft knapp gescheitert ist. Zwischen den Zeilen
heißt das: Deutschland hat das Verlieren gelernt - Die Angst der
Andere scheint gewichen zu sein. Deutschland ist leichter zu knacken,
leichter aus dem Konzept zu bringen, als früher, und das obwohl die
Spieler besser sind. Das ist das Paradoxon dieser spielerischen
»Revolution« seit 2006.
Aber die Wahrheit liegt ja auf dem
Platz. Wir werden in einigen Wochen sehen, ob das bis eben
Geschriebene nicht doch völliger Bullshit ist, die Elf stattdessen
sauber bis nach Rio durchzieht und den vierten Titel holt. Wer weiß
das schon?